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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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sodass meine Mutter vor Schuldgefühlen gleich wieder rot wird. Mit heißem Kopf folgt sie ihm zu einem Kino, sieht mit ihm einen Actionfilm, und sieht eigentlich doch nur ihn, starrt im Dunklen seine Hand auf der Lehne an, die sich ihrer keinen Millimeter nähert, starrt sein Knie an, das sich sogar noch etwas von ihr wegbewegt, sehnt endlich nur noch das Ende des Films herbei. Aber als das letzte Hochhaus in die Luft geflogen ist, hat Alex plötzlich Appetit. Sie gehen ein Eis essen, das heißt, er isst und meine Mutter sieht zu, wie er isst, wie er danach eine Zigarette raucht, wie er immer weiter ziellos oder vielleicht auch nur Ziel vermeidend die Straße entlangtrödelt, bis sie endlich nicht mal mehr davor zurückschreckt, ihren Körper vorzuschieben.
    »Ich müsste mal«, sagt sie.
    Alex deutet mit dem Kopf zum Park. »Geh doch in die Büsche.«
    »Das Hotel ist doch nur zwei Minuten weg, können wir nicht einfach zurück?«
    »Wie du willst«, stöhnt er und läuft träge hinter ihr her zum Hotel, zum Fahrstuhl, in ihr Zimmer.
    Aber als meine Mutter aus dem Bad kommt, in dem sie nicht wirklich gepinkelt, sich dafür aber mindestens dreimal die Hände gewaschen hat, ist er nicht mehr da. Nur seine schöne nackte Brust liegt auf dem Bett, die Arme darauf gefaltet, wie eine Leiche im offenen Sarg.
    Sie bleibt in der Tür stehen, hört seinen gleichmäßigen Atem. Hebt sein T-Shirt vom Boden und hängt es über die Stuhllehne. Sie setzt sich auf die Bettkante. Wartet. Legt sich endlich neben ihn und küsst ihn auf die Wange.
    »Du, ich bin echt total erledigt«, murmelt er, »musste gestern ne Doppelschicht einlegen, damit ich mir heute frei nehmen konnte. Und dann machen Dimas Brüder die ganze Zeit so nen Krach.«
    Ein Lächeln huscht über ihre Lippen. Sie stützt sich auf, streichelt seinen Arm.
    Aber Alex schläft ihr unter den Fingern weg.
    Vielleicht braucht er ja nur ein kurzes Nickerchen, denkt sie.
    Sie spannt die Pomuskeln an.
    Lässt sie wieder los.
    Sie betrachtet ihre eigene Brust, die sich hebt und senkt, mindestens doppelt so schnell wie seine.
    Sie steht auf. Läuft durchs Zimmer. Merkt, dass alles, was er an Gepäck mitgebracht hat, eine Plastiktüte ist. Sie zieht die Henkel auseinander, sieht eine Unterhose, ein Paar Socken, zwei weitere Päckchen Gauloises, vor allem aber: haufenweise Kondome.
    Was sie erst freut.
    Und dann traurig macht.
    Und dann doch wieder freut.
    Oder besorgt? Was sagt das denn darüber, wie er sie sieht? Denkt er etwa, dass sie mit jedem ins Bett geht?
    Möchte sie nicht eigentlich, dass er das denkt? Versucht sie nicht die ganze Zeit, ihn von ihrer Verdorbenheit zu überzeugen?
    Oder vielleicht ist es ja auch andersherum. Vielleicht schützt er nicht sich vor ihr, sondern sie vor ihm. Wer weiß, mit wie vielen Frauen er so schläft? Vielleicht kommt er jede Woche in dieses Hotel, um eine andere einsame Mutter zu ficken.
    Na, wenn er dich denn mal ficken würde, hört meine Mutter es in sich höhnen und spürt, wie Panik in ihr aufsteigt, und denkt, dass sie genau wie meine Großmutter ist, und merkt, dass sie noch panischer wird, und läuft zum Fenster und läuft zur Tür und bekommt solche Angst, dass er vielleicht doch nicht schläft und sie heimlich beobachtet, dass sie sich wieder neben ihn legt und ihn heimlich beobachtet und sich im Takt seiner hin und her und hin und her wehenden Nasenhaare hin und her und hin und her wiegt und den Kopf an seine Schulter legt und die Augen schließt, um sich auf das Pochen darin zu konzentrieren und einzuschlafen versucht und es nicht kann und sich wenigstens etwas zu beruhigen versucht und es nicht kann und die schrecklichste Nacht ihres Lebens durchmacht, »ja, ja, noch schlimmer als die auf der Party, bist du jetzt zufrieden, du Klugscheißerin!«
    Aber natürlich endete auch diese Nacht irgendwann. Und zum Entsetzen meiner Mutter endete sie nicht damit, dass er aufwachte, sondern damit, dass sie selbst die Augen aufschlug, die ihr irgendwann doch zugefallen sein mussten. Sie ließ den Blick übers Bett wandern, aber er stand schon am Fenster und rauchte. Jedes Mal, wenn er einen Zug nahm, drängelten sich die Sonnenstrahlen unter seiner Achsel durch.
    Meine Mutter drehte sich auf den Bauch.
    Eine ganze Nacht, schoss es ihr durch den Kopf, noch bevor sie ganz bei sich war, wir hatten eine ganze Nacht für uns, und alles, was wir gemacht haben, ist zu schlafen.
    Sie drückte das Gesicht ins Kopfkissen, das sofort wieder

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