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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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zartbraune Oberfläche geschlagen haben. Wie ein Schnittmuster zeichnen sie ihre Züge nach, schmiegen sich an die gerötete Nase, beschreiben einen runden Bogen auf ihren Wangenknochen, bevor sie steil nach unten schießen, direkt auf ihr Kinn zu, in dessen Grübchen sich der Puder sammelt. Von dem Lippenstift ist nur noch ein schmaler rostroter Rand übrig, der wie ein ausgetrocknetes Seebett um ihren Mund steht. Die Tusche ist von ihren Wimpern gewichen und hat sich stattdessen sternförmig um ihre Augen gesammelt, die inmitten der Schwärze wie zwei winzige, grüne Lämpchen blitzen.
    Schockiert schlägt sie die Lider nieder. Aber auch hier unten hat der Schmerz ganze Arbeit geleistet. Wie ein Bildhauer hat er die Umrisse ihres Körpers nachgebildet, die Dellen und Hügel herausgearbeitet, hat die weichen Stellen mit roten Striemen verziert.
    Meine Mutter stürzt zum Becken, klatscht sich Wasser ins Gesicht, reibt sich grob über die Wangen, während ihr bei dem Gedanken, dass ihr Körper noch immer schutzlos seinem Blick ausgeliefert ist, schon wieder übel wird. Sie grapscht nach einem Handtuch und wickelt es um ihre Brust, hört durch das Rauschen des Wassers sein Lachen, das in dem winzigen Bad grausam widerhallt.
    »Na, na«, macht er, als sei das alles ein riesen Spaß, schlingt seine Arme um ihre Taille.
    »Nicht«, sagt meine Mutter und beugt sich über das Becken, aber seine Lippen fahren unaufhaltsam über ihren Rücken, küssen ihren Nacken, streichen am Rand des Handtuchs entlang, während er von unten daran zieht.
    »Nicht«, ruft sie noch mal und hält die Enden mit beiden Händen fest, reißt sich los. Sie rennt ins Zimmer, wühlt in den Falten der Decke, bis sie endlich ihr Kleid findet und es eilig überzieht.
    »Was hast du denn?«, ruft er ihr nach.
    »Nichts, ich, äh, ich würde nur gern erstmal was essen gehen.« Sie versucht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich hatte noch nichts zu Mittag.«
    »Und wo?«, fragt er, während er aus dem Bad kommt, plötzlich gar nicht mehr zu Späßen aufgelegt.
    »Mir egal, Hauptsache was zu essen, ich fall gleich um vor Hunger«, sagt meine Mutter und legt sich die Hand auf den Bauch. »Wir können doch einfach raus gehen und ein bisschen laufen, bis ein Restaurant kommt.«
    Er fährt sich über die Stirn. »Das kost’ doch wieder sonst was!«
    »Geht auf mich«, ruft meine Mutter schnell.
    Aber Alex schüttelt vehement den Kopf. »So weit kommt’s noch!«
    »Wieso denn nicht?«, protestiert sie, »ich bin es doch, die was essen will.«
    »Der Mann zahlt«, sagt er, »los, gehen wir«, und das in so kategorischem Ton, dass meine Mutter einen Moment glaubt, er würde scherzen. Aber er steht schon im Gang und hält ungeduldig die Tür auf.
    Sie folgt ihm zum Fahrstuhl, kann nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Entrüstet, empört, aber eben auch und vor allem: geschmeichelt, denn »der Mann zahlt«, das impliziert natürlich auch, dass sie die Frau ist, eine richtige, Schutz bedürftige Frau, für die man sorgen muss, die auf einen angewiesen ist. Und das klingt auf einmal nicht nur herablassend, sondern auch sehr, sehr schön.
    Das Gesicht zu ihm nach oben gewandt, wie ein Hündchen, das auf den nächsten Befehl wartet, läuft sie neben ihm her, bereit, sich ganz in seine Hände zu geben  – die sie jetzt jedoch gar nicht mehr nehmen wollen. Die Ellenbogen nach außen drückend, als müsse er einen Sicherheitsabstand wahren, schiebt er die Finger in die Taschen, zieht ein Päckchen Gauloises auf der einen und ein Feuerzeug auf der anderen Seite heraus. Er steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen, rollt den Oberkörper nach vorne, hat offenbar Mühe, die Spitze zum Brennen zu bringen. Meine Mutter springt ihm bei, versucht, die Flamme gegen den Verkehrswind abzuschirmen. Aber statt das Schutzdach ihrer Hände zu nutzen, dreht er sich zur anderen Seite, krümmt sich fast zum Boden, bis er sich endlich mit der brennenden Zigarette wieder aufrichtet und sofort mit Riesenschritten weitergeht.
    Meine Mutter läuft ihm nach, kann förmlich dabei zusehen, wie er sich in seinen Kokon einwebt.
    »Was ein Wetter!«, ruft sie hilflos.
    »Hm«, macht er, oder vielleicht nicht mal das, bleibt aber wenigstens vor einem Café stehen.
    »Klar«, sagt sie, als habe er eine Frage gestellt, »sieht gut aus.«
    Er steuert auf den einzigen freien Tisch zu, setzt sich, während sie über die ausgestreckten Beine hinter ihm herstolpert, klappernd

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