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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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»darf ich?, tschuldigung, ja?, danke« murmelnd einen Stuhl vom Nachbartisch heranzieht, sich zwischen Tisch und Sitzfläche zwängt.
    Schweigend sitzen sie einander gegenüber, warten, bis die Kellnerin zwei Karten auf den Tisch legt.
    »Sieht gut aus«, sagt meine Mutter noch mal und tut so, als studiere sie das Angebot statt ihn. Aber er nickt nicht mal, zündet sich nur eine neue Zigarette an und starrt vor sich hin, bis die Kellnerin zurückkommt und er in so herzlichem Ton einen Kaffee bestellt, dass meine Mutter selbst nur noch stumm auf die Karte zeigen kann, um nicht sofort wieder loszuheulen.
    Sie erinnert sich daran, wie herrlich sie es sich ausgemalt hat, endlich mal etwas Zeit am Stück mit ihm verbringen zu können. Und jetzt? Keine halbe Stunde ist seit seiner Ankunft vergangen, und schon haben sie sich nichts mehr zu sagen.
    Die Kellnerin kommt, stellt einen Teller vor ihr ab. Meine Mutter glotzt auf das Essen, spürt, wie die Verzweiflung gegen ihren Gaumen drückt, den Kiefer spreizt, als würde ihr jemand eine Faust in den Mund rammen, hört das Wimmern, das zwischen ihren Lippen herausdrängt, so erbärmlich, vor allem aber: so laut, dass er endlich: »Ist alles in Ordnung?« fragt.
    Meine Mutter schiebt die Hand vors Gesicht. »Äh, ja, klar, ich, äh, ich häng nur ein bisschen durch.«
    Die Zigarettenspitze glüht wieder auf. »Ah.«
    Der Druck an ihrem Gaumen wird immer schlimmer. »Ja, also, ich mach mir nur Sorgen, weil, ähm, wegen meiner Abschlussprüfung.«
    Alex legt den Kopf in den Nacken und stößt den Rauch aus. Schaut ihm versonnen nach, wie ein Kind, das einen Luftballon steigen lässt.
    »Wird schon«, sagt er endlich, mit größtmöglicher Knappheit. Nicht mal zu einem Substantiv lässt er sich herab, geschweige denn zu einem Pronomen, das sie auf sich hätte beziehen können. Aber in diesem Moment ist auch das genug, um das Fass endgültig zum Überlaufen zu bringen.
    Sei es aus Rührung, weil es ja doch ganz lieb von ihm ist, ihr Mut zu machen, sei es aus Verzweiflung, weil das wohl tatsächlich schon alles an Liebenswürdigkeit ist, was er für sie übrig hat, heult meine Mutter mit einem Mal los. Die Tränen laufen über ihr Gesicht, schütteln ihren Körper durch, als säße sie auf dem Rücken eines Pferdes, das sie abzuwerfen versucht.
    »Es ist ja nicht nur das«, stößt sie hervor, weil ihr ein bisschen Prüfungsangst als Erklärung für so einen Ausbruch dann doch nicht zu reichen scheint.
    Alex streicht die Asche am Tischrand ab.
    »Ich meine, es ist schon unheimlich viel zu lernen. Die meisten wissen das ja gar nicht, aber wir schneiden nicht nur Haare. Wir müssen auch schminken und Maniküre machen. Und Pediküre«, sie tastet nach ihrer Serviette, »aber auch abgesehen davon, also  … «
    »Was denn?«, fragt er, fast ein bisschen interessiert.
    Meine Mutter faltet die Serviette auseinander, schnäuzt sich, während sie sich krampfhaft ein paar existentiellere Probleme auszudenken versucht. »Ich weiß auch nicht.«
    »Was weißt du nicht?«
    »Ich weiß nicht ob, also, ich  … ich weiß nicht, ob Frisöse überhaupt das Richtige für mich ist«, ruft meine Mutter endlich, vielleicht eine Spur zu laut, so sehr freut sie sich über ihren Einfall.
    Alex schüttelt den Kopf. »Ist doch ein toller Beruf.«
    Meine Mutter sieht ihn überrascht an. »Wirklich?«
    Er reckt den Kopf nach hinten. »Klar. Im Grunde bist du doch so was wie ein Arzt. Die Leute kommen hässlich zu dir, und du machst sie wieder schön.«
    Meine Mutter lacht bitter. »Ja, und das ist natürlich das Wichtigste im Leben.«
    »Na, du hast leicht reden!«, ruft er, fast ärgerlich.
    »Was?«
    Aber Alex dreht ihr schon wieder den Rücken zu. Er hebt den Arm, bittet um einen Aschenbecher, sodass nur die Kellnerin die Ungläubigkeit in den Augen meiner Mutter sehen kann, die sich schnell einen Bissen ihres mittlerweile kalten Essens in den Mund schiebt und angestrengt darauf herumkaut, bis das Zittern in ihrem Kinn nachlässt.
    »Komm, gehen wir zurück ins Hotel«, flüstert sie endlich und versucht ihre Stimme verführerisch klingen zu lassen.
    Aber Alex möchte jetzt lieber irgendetwas unternehmen.
    »Wunderbar!«, ruft meine Mutter so laut, dass ihre Enttäuschung kaum zu überhören ist. Sie versucht, ihm zuzulächeln, aber Alex schaut sie nicht an, blättert nur grummelnd ein paar Scheine für das Essen hin, das sie ja kaum angerührt hat.
    »Du hast dein Essen ja kaum angerührt«, sagt er,

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