Fünf Kopeken
Arbeitsplatte. Sie musste eine halbe Packung Mehl dazuschütten, bevor er sich halbwegs ausrollen ließ. Und dann mit einem Mal so trocken war, dass die Oberfläche auseinanderbrach wie ein Feld im Sommer, wenn es wochenlang nicht geregnet hat.
Immer nervöser werdend briet und verbriet sie das Hackfleisch, klatschte es, weil sogar sie einsah, dass ihr keine Zeit blieb, neues zu kaufen, trotzdem auf die ausgestochenen Kreise, die nicht wirklich Kreise, sondern eher Ovale und noch mehr einfach nur Teigfetzen waren, strich Eigelb, das auch nicht wirklich Eigelb, sondern auch ziemlich viel Eiweiß und eine ganze Menge Eischale war, auf die Ränder und drückte sie zusammen, bevor sie viel, viel, viel zu spät ins Bad rannte, sich wusch, umzog und doch wieder die Schürze umband, weil sie der perfekten Hausfrau noch eine Chance geben wollte. Sie lief ins Esszimmer und legte das Silbergeschirr auf, zündete, da Alex noch immer nicht da war, Kerzen an, sah plötzlich das Foto von meinem Großvater und seinem Wehrmachtsfreund, das auch hier in Berlin wieder einen Ehrenplatz über dem Küchentisch hatte, nahm es ab, versteckte es unter der Couch, holte ein anderes Bild aus dem Flur, um damit den leeren Nagel zu verdecken, paranoid, wie gesagt, zog, als sie endlich den Rahmen zurechtgerückt hatte, dann aber doch wieder die beiden Hitlergrüßenden unter der Couch hervor, weil ein bisschen Bebilderung dem deutschfreundlichen Judenfeind zur Einleitung vielleicht ganz gut täte und fragte sich gerade, ob sie sich vielleicht wieder mit der Zeit vertan hätten, als es klopfte.
Sie sprang auf, stieß vor Schreck einen kleinen Schrei aus, vor Schreck und weil die perfekte Hausfrau in ihrem Kopf wohl den 50ern entstammte und so was eben machte, riss die Tür auf und rief »Dobro Poschalowat!«, wie es die Frau auf der Kassette an Tag 1 – Begrüßen und Verabschieden – gemacht hatte.
Alex wich zurück, als habe er an einen Kuhzaun gefasst.
»Dobro Poschalowat«, wiederholte meine Mutter, während sie einladend den Arm in die Wohnung streckte.
Alex’ Stirn legte sich in Falten.
»Ich will Willkommen sagen«, sagte sie und versuchte es zum dritten Mal, jetzt schon nicht mehr rufend, sondern eher tastend, mit einem riesengroßen Fragezeichen dahinter. Aber Alex sah sie auch weiterhin nur so fragend an, dass sie endlich aufgab und stattdessen »Äh, ich hoffe, du hast’s gut gefunden?« murmelte, während sie die Tür noch weiter aufzog.
»Bei der Beschreibung war’s ja nicht wirklich zu verfehlen«, antwortete er spöttisch und hielt den Zettel in die Luft, auf dem sie ihm den Weg aufgemalt hatte. »Hätte natürlich auch gereicht, wenn du mir einfach gesagt hättest, dass es die Wohnung über diesem komischen Modegeschäft ist.«
Meine Mutter zupfte an ihrer Schürze. »Wieso denn komisch?«
»Hast du dir die Sachen im Schaufenster mal angekuckt?«, er bog die Unterlippe nach vorne und schüttelte den Kopf, kam aber wenigstens endlich rein. »Naja, wenn man’s mag. Jedem das seine, was?«
»Ja, äh, wahrscheinlich.« Meine Mutter strich sich verstohlen über den Rock, der natürlich, wie ja alles außer den drei neuen Kleidern, vom Mode-Schneider stammte, fummelte sich im Haar herum.
»Wie bist du denn ins Haus gekommen?«, fragte sie, mehr um das Thema zu wechseln, denn aus Interesse.
Alex deutete ins Treppenhaus. »Der Nachbar ist gerade raus und hat mich reingelassen.«
»Ach«, sagte meine Mutter und merkte plötzlich, dass sie seit der Sache mit Arno auf den Bahngleisen kein einziges Mal mehr an ihn und den toten Rauscheengel gedacht hatte.
Sie überlegte, ob sie während des Kochens wieder das Heulen der Frau gehört hatte, aber sie konnte sich an nichts erinnern.
Vielleicht sind die beiden ja endlich über den Verlust hinweggekommen, dachte sie, wie lange kann so was schon dauern? Aber Alex sagte: »Ganz schöne Fahne, der Alte. Würde man gar nicht denken, dass sich einer wie der so ne piekfeine Wohnung leisten kann.«
Die Übelkeit war so schnell wieder da, als sei sie nie weggewesen.
»Wirklich?«, fragte meine Mutter, und, wenigstens noch ein paar Sekunden an der Hoffnung festhaltend, dass sie sich täuschte, »war seine Frau dabei?«
Alex schüttelte den Kopf. »Ne, der hatte nur ne Tüte mit alten Flaschen.« Er lachte ein bisschen, rieb sich den Kopf. »War wahrscheinlich grad dabei, das Leergut zurückzubringen, um sich vom Pfand Nachschub zu kaufen.«
Das Herz meiner Mutter setzte zu
Weitere Kostenlose Bücher