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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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überlebt, weil sie so einen Aufseher hatten, der  … «
    »Nein, die beiden«, unterbrach er sie und zeigte auf das Hochzeitsfoto meiner Großeltern.
    »Ach so das, äh, ja, das sind mein Vater und meine Mutter.«
    Alex kniff die Augen zusammen. »Sehen dir gar nicht ähnlich.«
    »Ja, ich weiß«, sagte meine Mutter, fast entschuldigend.
    Alex lachte. »Noch mal Schwein gehabt, was?«
    Meine Mutter spürte, wie ihre Knie sich wieder verflüssigten.
    »Äh, also, äm, dann, dann wollen wir mal essen«, schaffte sie es gerade noch zu stammeln, bevor ihr bei der Art, wie er sie plötzlich ansah, die drei Worte sofort wieder aufstießen.
    Unter- und Oberkiefer fest ineinander verhakt, zeigte sie auf den Stuhl am Kopfende, während sie sich selbst auf die Eckbank setzte.
    »Guten Appetit«, sagte sie. Aber Alex war sowieso schon am Schaufeln. Als sei er völlig ausgehungert, stopfte er sich drei, vier, fünf Pelmeni auf einmal in den Mund, die Ellenbogen aufgestützt, hielt nicht mal inne, als meine Mutter direkt vor seinem tief über den Teller gebeugten Kopf die ausgegangene Kerze wieder anzündete, zurechtrückte, endlich selbst die Gabel aufnahm. Sie bugsierte ein Stückchen schwammigen Teigs auf die Zunge und ließ es dort liegen, als habe sie vergessen, was sie damit machen soll. Erst als Alex plötzlich angewidert die Gabel aus dem Mund zog, würgte sie den Bissen in ihrem hinunter.
    »Nicht gut?«, fragte sie, denn zum Selbstschmecken waren ihre Sinne zu überlastet.
    Alex kratzte mit der Gabel durch die Schokoladencreme. »Was ist das?«
    Meine Mutter schob die Hand vor den Mund. »Smetana«, nuschelte sie durch die gespreizten Finger wie durch einen Maulkorb, »im Rezept stand, damit ließen sich die Pelmeni verfeinern.«
    »Ach, das sollen Pelmeni sein?« Er hob prüfend eine der Teigtaschen an, betrachtete sie von allen Seiten. Fuhr wieder durch die Creme. Dann ließ er die Gabel sinken und fasste sich an den Bauch.
    » Smetana heißt einfach nur Schmand«, sagte er, während sich das Lachen unter seiner Hand zusammenbraute, die Brust hinaufgurgelte, seinen Kehlkopf anstieß, endlich schallend aus ihm herausschoss.
    »Du hast mir Fleischpelmeni mit Schokosoße gemacht!«, rief er. Und weil’s so schön war, gleich noch mal: »Fleischpelmeni mit Schokosoße, ich fass es nicht, Fleischpelmeni mit Schokosoße.« Er schaukelte so begeistert auf seinem Stuhl herum, dass die Lehne zu quietschen begann.
    Meine Mutter schlug die Augen zu Boden, die schon wieder feucht wurden, spürte den Druck an ihrer Stirn, an ihren Schläfen, in der Nase, als würde ihr Schädel jede Sekunde explodieren, bis die Verlegenheit sie endgültig aus dem Sitz drückte. Den Blick soweit wie möglich von Alex abgewandt, packte sie die Teller und lief, irgendetwas brabbelnd, was sie selbst nicht verstand, aus dem Zimmer.
    »Fleischpelmeni mit Schokosoße«, hörte sie ihn weitergrölen, während sie in die Küche rannte. Sie knallte das Geschirr ins Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf, rieb über die Teller, auf denen noch das halbe Essen schwamm, während sie verzweifelt versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Und dann, als das nicht klappte, sie möglichst schnell aus sich heraus zu weinen. Als ginge es darum, einen vollgelaufenen Keller leer zu pumpen, stapfte sie auf den Boden und heulte los, heulte die Tränen mit aller Kraft nach oben, heulte so heftig, dass ihr gerade noch genug Zeit blieb, zum Kühlschrank zu stürzen und den Kopf darin zu verstecken, als er plötzlich wieder in der Tür auftauchte und unvermittelt »ich hab ganz vergessen, mich zu bedanken« sagte.
    Ihre Brust zog sich zusammen. »Nicht der Rede wert«, sagte sie und kam so schnell hoch, dass sie sich am Gefrierfach stieß.
    »Aaaaauh«, rief er an ihrer Statt und legte die Hand auf ihren Kopf.
    Meine Mutter drehte ihr verweintes Gesicht weg.
    »Espresso?«, fragte sie, schon zur Maschine laufend.
    Aber Alex schüttelte den Kopf. »Ich muss los.«
    »Ach so, ja, klar, ich will natürlich nicht, dass du Ärger bekommst.« Sie strich sich das Haar hinter die Ohren. »Ähm, vielleicht noch eine Zigarette zum Abschied?«
    Er schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk, die er plötzlich trug, das heißt, wahrscheinlich auch schon vorher. Aber in diesem Moment kam es meiner Mutter so vor, als habe er sie gerade eben erst angelegt, um einen Grund für sein plötzliches Aufbrechen zu haben.
    »Ok«, sagte er etwas widerwillig, »aber nur ganz schnell.«
    »Klar«,

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