Fünf Kopeken
zusammenkratzen konnte, dann drängte sie sich und mich ungeduldig ins Restaurant, vor dem tatsächlich ein paar Fotografen lauerten und bei ihrem Erscheinen hektisch auf die Auslöser drückten. Einer folgte ihr sogar ins Innere, wurde aber von Schnuckiputzi sofort laut brüllend rausgeworfen, bevor der, nicht minder laut, meine Mutter umarmte.
»Schnuggibuudsi! Wo habe gestegd so langhe? Habe nix gewese hia fu ima!«, rief er und gab meiner Mutter einen Kuss auf die Wange.
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte sie, während sie über ihn hinwegschaute, »ich weiß, dass heute eigentlich geschlossene Gesellschaft ist. Alex hat erzählt, irgendwelche Promi…«
»Schnuggibuudsi!«, unterbrach Schnuckputzi sie, »stör du nix eins! Und zwei, du sein bald selber promi.« Seine Augen weiteten sich, als würden sie von dem Einfall, der ihm gerade kam, förmlich aus den Höhlen gedrückt. »Vielleicht du singhe für unsere Gaste?« Er zog die Brauen noch etwas weiter nach oben, nickte schon mal für sie vor.
Aber meine Mutter hatte bereits Schwierigkeiten, überhaupt einen Ton herauszubringen. »Äh, vielleicht später«, murmelte sie kaum hörbar, und dann, sogar noch etwas leiser, »ich … , äh, ich suche eigentlich Alex.«
Schnuckiputzi verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte heftig den Kopf, sodass meine Mutter einen schrecklichen Augenblick lang glaubte, Alex sei gar nicht hier, er habe sie angelogen und müsse überhaupt nicht arbeiten. Aber schon im nächsten begann die Trommel unter Schnuckiputzis Hemd zu hüpfen.
»Was suhe du Alexandre, wenn du kann sein mit mia? Nix brauhe diesa Russ, kann Schnuggibuudsi spiele deina Gitarra!« Er wackelte mit den Hüften und bewegte die Lippen vor und zurück wie ein Fisch, begann endlich zu lachen. »Muss dein Schnuggibuudsi sein in die Kuhe.« Seine warme Hand fuhr auf ihren Rücken und schob sie vorwärts. »Wenn du finde, sage zu er, soll trage Popo hier hoppladihopp. Nix bezahlhe, dass kann er drehe Fingher rund!« Er schob sie durch die Tür in die Küche, lief selbst zurück ins Restaurant.
Meine Mutter ließ den Blick über das übliche Gewusel, Gerenne, Geschubse, Geschimpfe und Geschreie schweifen, suchte nach den gelben Augen. Aber stattdessen sah sie nur Romão, der wütend vor sich hingrummelnd in einem Topf rührte.
Sie huschte an ihm vorbei, lief zur Spüle, vor der wie immer Nadja in ihrem blauen Kittel stand und vor Freude, meine Mutter zu sehen, die Arme aus dem Becken riss. Irgendetwas rufend, was wohl erst an Tag 18 drankam, lief sie auf sie zu und drückte sie ebenfalls an sich.
»Hallo«, sagte meine Mutter schüchtern, während das Spülwasser von Nadjas Händen ihr T-Shirt durchweichte.
Wie bedingungslos sie doch alle hier ihre Zuneigung verschenken, dachte sie, ohne sich entscheiden zu können, ob das nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes sei.
Sie löste sich von Nadja, die sofort wieder das Haarnetz vom Kopf friemelte, ihre schönen Locken über die Ohren hob und fallen ließ, während sie meine Mutter mit einem nicht enden wollenden Wortschwall übergoss, den die verständnislos nickend über sich ergehen ließ. Erst als Nadja ihr die, wie sie annahm, kaputten Spitzen direkt vor die Nase hielt, konnte sie sich nicht mehr beherrschen, endlich »wissen Sie vielleicht, wo Alex ist?« zu fragen.
Nadja ließ die Hände sinken und kuckte enttäuscht. »Raus«, sagte sie, so bestimmt, dass meine halt doch schon arg mitgenommene Mutter sofort wieder erschrak. Unsicher folgte sie der Hand, die erst zur Tür zeigte, dann, als meine Mutter nicht reagierte, sich um ihren Unterarm legte und sie Richtung Herd zog. »Raus«, sagte sie noch mal, aber jetzt schon etwas weniger heftig. Sie presste zwei Finger an die Lippen, zog die Wangen ein und stieß hörbar die Luft aus. »Schura raus«, sagte sie, und: »Sigarijeta?«
Vor Erleichterung entfuhr meiner Mutter irgendwas zwischen Lachen und Schnauben. »Ach so«, rief sie und griff sich an den Kopf.
Nadja strahlte wieder. »Da, da, Schura Sigarijeta.«
Meine Mutter nickte. »Äm, danke«, sagte sie und lief zurück, an den Metalltischen vorbei, bemerkte zum ersten Mal den Gang, der vom Restaurant weg auf eine Tür zu führte, die von einem um die Klinke gewickelten Handtuch am Zufallen gehindert wurde, sodass sie nur ganz leicht dagegen drücken musste.
Sie roch ihn sofort. Roch seinen Rauch, noch ehe sie die Zigarettenspitze sah, die in dem mittlerweile völlig schwarzen Himmel
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