Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
Vom Netzwerk:
es, genauso wie die Kassettenfrau an Tag 17  – Gefühle und Meinungen: »Ja tibja ljublju.«
    Sie hielt sich an seinen Fingern fest, schaute zu ihm auf. Aber sein Gesicht war verschlossen.
    »Das sollte Ich liebe dich heißen«, flüsterte sie.
    Er zog ihr die Hände weg, rieb sich über die Stirn. »Ich hab schon verstanden.«
    Meine Mutter atmete ein, aber die Luft schien nicht in ihrer Lunge anzukommen. »Ah, gut«, sagte sie fast tonlos.
    Alex nickte. Er wischte sich über die Weste, kickte ein paar lose Teerbrocken vom Bordstein, zog sie endlich zurück zu Romão, der jetzt wieder genauso skeptisch wirkte wie eh und je.
    »What are you up to?«, fragte er, während er meine Mutter stirnrunzelnd ansah.
    »Ah, nothing.« Sie fasste sich an die Schürze, hörte wieder ihren Atem, dann Alex, wie er in seinem raunzenden Russenenglisch »we must go work now, is late« brummte.
    »Ähm, natürlich«, stammelte meine Mutter, »of course. Bye. Äh, tschüss dann.« Sie drehte auf dem Absatz um und rannte wieder los, als sei sie diejenige, die spät dran war, rannte zurück zum Haus, die Treppe hinauf, ins Schlafzimmer meiner Großeltern, warf sich aufs Bett und die Traurigkeit sich auf sie, so überwältigend, so übermächtig, so unbezwingbar, dass sich die Frage, ob sie dagegen ankämpfen sollte, gar nicht stellte. Völlig wehrlos sank sie zwischen die Matratzen und ergab sich dem Gefühl der Ausweglosigkeit, der Endgültigkeit, spürte die Schwere, die sich so erdrückend auf sie senkte, dass sie sich keinen Zentimeter darunter zu rühren vermochte, dass sie sich sicher war, nie nie wieder aufstehen zu können. Dass sie für alle Zeiten in dieser Position verharren müsste.
    Sie stellte sich vor, wie meine Großeltern nach Hause kämen und sie so vorfänden, bäuchlings in der Ritze, als sei sie in eine Gletscherspalte gerutscht.
    »Oskar, das Kind!«, würde meine Großmutter rufen.
    »Sofort aufgestanden!«, mein Großvater.
    Aber meine Mutter würde nicht aufstehen. Würde einfach so liegen bleiben. Und nach einer Weile würden meine Großeltern sich daran gewöhnen. Nachts würden sie sich neben sie quetschen, der eine rechts, der andere links. Vielleicht würden sie auch im Wohnzimmer schlafen, mein Großvater auf der Couch, meine Großmutter im Sessel, damit sie am nächsten Morgen die müdere von beiden sein könne.
    Das Schnaufen meiner Mutter brachte ihr Gesicht zwischen den beiden Matratzen zum Glühen. Mit der ganzen Theatralik des Erstverwundeten überzeugte sie sich davon, dass das das Ende sei, dass es das jetzt war, für sie, für sie und ihn, für das Leben an sich.
    Aber vielleicht war im Laufe der Jahre doch etwas von Arnos Unbeständigkeit auf sie übergegangen.
    Oder vielleicht wusste sie einfach nicht, wie man das machte: aufgeben.
    Vielleicht war es auch ihr Verstand, der, beleidigt oder nicht, so viel Irrationalität dann doch nicht einfach ignorieren konnte und sie endlich hochfahren ließ.
    Wieso denn zu Ende?, schrie sie sich an. Gar nichts ist zu Ende! Es kann doch nicht zu Ende sein!
    Du musst das wieder geradebiegen, dachte sie. Du musst mit ihm reden, dachte sie. Du musst ihm sagen, dass du es nicht so gemeint hast, dachte sie und glaubte, liebeszurückgeblieben, wie sie war, tatsächlich, dass das gehe. Dass sich die Spur, die ein einmal ausgesprochenes Wort hinterlässt, nachträglich wieder verwischen lasse. Dass man es gegen ein anderes umtauschen könne, wie ein fehlerhaftes Kleidungsstück. Glaubte noch, es gäbe so etwas wie einen zweiten Versuch.
    Und rannte wieder los, hielt nicht inne, bis sie vor dem Geschlossene Gesellschaft -Schild ankam, zu allem bereit, wenn nur alles wieder so werden würde, wie es war.
    »Wie war es denn?«, fragte ich, auch wenn ich die Grausamkeit der Frage deutlich spürte.
    »Wie wie ?«, fragte sie, »das hab ich dir doch alles erzählt!«
    »Ich meine, was war denn bitte so toll, dass man es unbedingt hätte retten müssen, dass es wert gewesen wäre, einem Kerl nachzurennen, der einen nicht mal liebt?«
    »Wer sagt denn, dass er mich nicht  … «, setzte sie an. Aber auch jetzt konnte sie den Satz nicht zu Ende bringen.
    »Du hast doch noch gar nicht alle Fakten!«, rief sie stattdessen ärgerlich, sichtlich mit dem Gedanken spielend, es erstmal auch dabei zu belassen. Aber um mir die Aufmüpfigkeit wie sonst mit einer Erzählpause heimzuzahlen, war sie dann doch zu angespannt.
    »Hör halt erstmal zu«, war alles, was sie an Tadel

Weitere Kostenlose Bücher