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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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tatsächlich darunter verborgen sein.
    »Muss Arbeit«, sagte Dima und nahm seine Weste vom Stuhl.
    »Ach so, ja, natürlich, tut mir leid.« Meine Mutter erhob sich. »Ich will dich nicht aufhalten.«
    »Nix! Du bleib!«, rief Dima und drückte sie zurück aufs Bett.
    »Nein, nein, ich will wirklich keine Umstände machen«, wehrte meine Mutter ab, aber Dima schüttelte den Kopf.
    »Du bleib«, sagte er noch mal und ging aus dem Zimmer, zerrte, so gut das von außen ging, die Tür in den Rahmen. Meine Mutter hörte, wie der Fernseher leiser wurde, dann die unterdrückten Stimmen der Russen im Wohnzimmer. Sie fragte sich, ob sie wohl über sie redeten. Versuchte, einen von Alex’ tausend Namen herauszufiltern, denn wie sollten sie schon sonst über sie sprechen als über »Alex’ Freundin«, oder jetzt eben »Alex’ Exfreundin«, oder »die Deutsche, mit der Alex es getrieben hat«? oder »die, die ihn vertrieben hat«? Worüber ihr wieder die Tränen kamen.
    Sie rollte sich auf dem Bett zusammen, grub die Nase in die Matratze, glaubte, ihn noch zu riechen, oder wenigstens den Rauch seiner Gauloises, der in seinem Kopfkissen hing. Ihr Blick wanderte über die Spinde, aus denen die Kleidung hing, verlor sich im Fell des Bettvorlegers.
    Und dann stand er plötzlich in der Tür, das Haar wieder kurz, wie damals, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, die schwarze Fliege halb aus der Brusttasche hängend, sodass es aussah, als sei ein Kugelschreiber darin ausgelaufen.
    Er lief durch den Raum und setzte sich an die Bettkante, streifte seine Schuhe ab, während seine Hände in den Nacken fuhren. Mit einem Ruck riss er sich das Hemd von den Schultern und warf es meiner Mutter aufs Gesicht.
    »Wo warst du denn?«, rief sie und wollte den Stoff herunterziehen, aber ihre Arme ließen sich nicht bewegen.
    »Nirgendwo Buba«, murmelte er, während sich sein Gewicht von der Matratze löste. Sie schnaubte, prustete, schaffte es endlich, das Hemd mit dem Mund ein Stück weit beiseitezuschubsen. Sein schöner Rücken mit den Leberflecken hob und senkte sich, während er einen Pullover unterm Bett hervorzuziehen schien. Erst als eine Hand auf seine Schulter kletterte, merkte meine Mutter, dass noch jemand darin steckte.
    »Was machst du denn da?«, schrie sie entsetzt.
    »Ach Buba«, stöhnte er, »lass es doch gut sein.« Er reckte seinen Oberkörper in die Höhe, sodass sie endlich auch die Frau unter ihm bemerkte, das Lächeln, das immer breiter wurde, die riesigen, viereckigen Zähne, die aufeinanderknallten. Dann kam er plötzlich zurück auf die Matratze und strich meiner Mutter über die Stirn. Das Licht in seinem Rücken blendete, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, nur die Anzugweste, die er plötzlich wieder anhatte und deren Knöpfe kalt gegen ihre Haut stießen.
    »Du weiter schlaf«, hörte sie ihn sagen, während er sich an ihren Rücken drückte und sofort zu schnarchen begann, den Arm um ihre Hüfte, sodass sie endlich mit in seinen Schlaf gezogen wurde, einen Schlaf, der nichts anderes sein wollte als das, nicht Traum, nicht Krafttanken, einfach nur Schlaf. Ein Schlaf, der diesmal wirklich nicht mehr von ihr wich. Nicht in dieser Nacht. Nicht am nächsten Morgen, als der Wecker unten in ihrer Wohnung klingelte. Nicht, als sich die Türen der Aula öffneten. Nicht, als die Prüfungsbögen ausgeteilt wurden. Und auch nicht, als die letzten Studenten die Stifte wieder aus der Hand legten.
    Erst am späten Nachmittag wachte meine Mutter auf. Drückte aber, als sie Dima erkannte, der sich gerade die Schuhe band, die Augen gleich wieder zu und schlief weiter, bis sie, es war schon wieder dunkel, von Dimas Mutter am Arm gerüttelt wurde. Sie trottete hinter ihr her ins Wohnzimmer, ließ sich zwischen Dimas Schwester und Dimas Schwager fallen und eine Aluschale in die Hand drücken. Trank das Glas, das Dima, der offenbar auch schon wieder zurück war, ihr gab, in einem Zug aus und blieb, als sich seine Familienmitglieder nach und nach in das nun leere Schlafzimmer verzogen, mit ihm zurück.
    Schweigend hockten sie nebeneinander, tranken und sahen fern, mal deutsche, mal russische Programme, mal mit, mal ohne Ton, und als die andern wieder aufstanden, gingen sie zusammen zurück ins Bett. Am dritten Tag, also in der dritten Nacht, oder vielleicht auch erst in der vierten, wahrscheinlicher aber schon in der zweiten, sonst kann ich mir auch diesmal nicht erklären, wie meine Großmutter einem Herzinfarkt entgangen

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