Fünf Kopeken
schoss sich einen Katheter in die Vene und ließ den ganzen Dreck herauslaufen, zeigte sich ihm, bäuchlings, mit offenem OP -Hemdchen. Die hässlichen Gedanken, die Ängste, die ihr, wenn sie nachts wach lag, manchmal auflauerten, die kleinen Wunden, die sie einen Moment lang weit aufriss, damit er auch das rosa Fleisch in den Ecken sehen konnte. »Verachtest du mich jetzt?«, fragte sie und drückte ihm den Salzstreuer in die Hand, aber seine Arme schlossen sich nur noch fester um sie. Mit jedem Geständnis rutschte sie tiefer in die Höhle seiner warmen Umarmung, bis sie kaum noch zu sehen war unter seinem langen Körper. Sie erzählte ihm alles und noch ein bisschen mehr, von einem fiebrigen Zwang zur Ehrlichkeit getrieben, die sie für Aufrichtigkeit hielt. Und als es endlich nichts mehr zu entblößen gab, zog sie sich aus. Genauso gehetzt, ohne sich an Knöpfen und Schnallen aufzuhalten. Mein Vater hinterher, der sein Glück gar nicht fassen konnte.
Als er den Pullover über den Kopf zerrte, roch es nach Chlor. Seine Brust war weiß wie ein Betttuch und wölbte sich seltsam nach vorne.
»Bist du dir sicher?«, fragte er ohne seine Lippen von ihren zu nehmen.
»Bist du dir denn sicher?«, fragte sie und verzog das Gesicht, weil ihr das alles zu süß und rücksichtsvoll war.
»Du!«, lachte er und küsste sich wieder in ihren Nacken. Und dann »taten sie es«.
Meine Mutter hatte eine seltsam spöttische Art, über Sex zu sprechen. Meist nannte sie es so, »es tun.« Oder »miteinander ins Bett gehen.« »Ficken« oder »Bumsen« hätten besser getroffen, was sie meinte, aber solche Worte in den Mund zu nehmen, verbot ihr die Erziehung. Sie schien es zu brauchen, den Akt nach so wenig wie irgendmöglich klingen zu lassen. Sex blieb bei ihr immer ein Trieb, etwas Tierisches. Dabei war der mit meinem Vater natürlich alles andere als das. Die meiste Zeit ließ er sie oben sitzen, sodass er sie dabei mit seinem Hundeblick ansehen und die Hände auf ihre Brüste legen konnte, ganz leicht, als habe er Angst, sie könnten abfallen, wenn er zu fest daran zöge. Erst kurz vor Schluss fragte er sie, ob sie wechseln könnten, und kam gleich darauf auf ihren Bauch.
Meine Mutter hatte ein bisschen Spaß, aber auch nicht zu viel. So wie sie es gern hatte. So wie sie es vertragen konnte. Und als sie danach nebeneinander im Bett lagen, die Glieder so ineinander verwickelt, dass man kaum noch sagen konnte, wem was gehörte, und über den ganzen Unsinn redeten, über den man nur reden kann, wenn man miteinander nackt ist, war es schon schön, irgendwie, »halt wie wenn man Champagner aus der Schnabeltasse trinkt«.
Als der Nachbar oben aufwachte und der Putz von der Decke bröckelte, zogen sie sich an und gingen frühstücken. Meine Mutter lief einen halben Meter vor Arno, sie hatte es eilig, etwas zu tun, und wenn es nur Essen war. Beim Gehen schwang ihr Rock hin und her. Als sie um die Ecke bog, drehte sich ein Mann um, und mein Vater glaubte tatsächlich, er sehe ihr nach. Er griff nach ihrer Hand, legte schließlich den ganzen Arm um ihre Hüfte, dann auf ihre Schulter und ließ auch dann nicht los, als sie sich nebeneinander durch die Tür quetschen mussten.
Es war stickig in dem Café. Sie fanden einen Tisch, der klein genug war, dass er sie auch über das schmutzige Geschirr des Vorgängers hinweg küssen konnte. Lang und innig, wobei er die Hände zur Hilfe nahm. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Finger um ihre Wangen und zogen sie zu sich heran. Bis die Kellnerin kam, um abzuwischen, hatte er sein Territorium schon einmal rundrum angepinkelt.
Er bestellte nur einen Kaffee, weil er angeblich nichts essen könne, aber meine Mutter bekam plötzlich Appetit. Sie ließ sich ein Bauernfrühstück kommen mit allem Drum und Dran. Das Eidotter rann über die Kartoffeln, während sie schaufelte. Erst als ihr Teller halb leer war, sah sie Arnos wartenden Blick.
»Mal probieren?«, fragte sie.
»Mmm«, machte er, und seufzte leise, geriet richtig ins Schwärmen über das Essen meiner Mutter, wobei er nicht müde wurde, Letzteres zu betonen, »dein« Essen, »dein« Omelett, »deine« Eier, als habe sie sie gerade selbst gelegt, bis meine Mutter ihm vorschlug, doch selbst etwas zu bestellen.
Er küsste sie wieder, diesmal freihändig. Dann rief er die Kellnerin.
»Dasselbe?«, fragte sie ohne von ihrem Block aufzuschauen.
Nein, erwiderte mein Vater, dazu müsse meine Mutter das gerade Verspeiste ja erst
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