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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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erbrechen. Aber »das Gleiche« nehme er gerne.
    »Da hab ich’s gewusst«, schrieb meine Mutter Babsi an die letzte Adresse, die sie von ihr hatte, »der ist es«, und steckte sich gleich sein Foto ins Portemonnaie, damit sie es auch nicht vergaß.
    Meiner Großmutter sagte sie nichts, die hätte sich so gefreut, dass nichts mehr für sie übriggeblieben wäre. Erst als sie und Arno, Hand in Hand, eines Nachmittags in eine der Verkäuferinnen rannten, lud sie ihn überstürzt zum Essen ein. Sie brächte einen »Bekannten« mit, kündigte sie ihn von einer Telefonzelle aus an, peinlich bemüht, es so klingen zu lassen, als habe man sich gerade erst kennengelernt. Was Arno nun nicht wissen konnte. Aber musste er denn wirklich jede gemeinsame Unternehmung, jedes in irgendeiner Form datierte Ereignis erwähnen? Ach, die Sache mit dem Kunden, der noch eine Woche nach dem Sommerschlussverkauf seine Badehose zurückgeben wollte, meinen Sie? Klar, kenn ich doch!
    »Ich bin’s dir offenbar nicht mal wert, dass du mich informierst, mit wem du dein Leben teilst«, jammerte meine Großmutter, als meine Mutter endlich ihr Zischeln erhörte und ihr in die Küche folgte, um beim Apfelstrudelschneiden zu helfen.
    »Ich teil gar nichts«, sagte meine Mutter, begann dann aber doch, mit butterwarmen Worten die Kränkung Schicht für Schicht abzublättern, bis meine Großmutter bereit war, zurück ins Esszimmer zu kommen, wo mein Großvater seinerseits kurz davor war, meinem Vater einen Heiratsantrag zu machen.
    Zwischen den beiden war es Liebe auf den ersten Blick. Es begann damit, dass Arno die statt einer Begrüßung gerufene Großvaterfrage, ob er mit dem Kopf im Rasenmäher hängengeblieben sei, zur allgemeinen Überraschung mit einer eiskalten Retourkutsche konterte (an die sich leider, leider, niemand erinnern konnte, aber zum Thema Kopfhaar drängen sich bei meinem Großvater ja auf Anhieb ein paar ganz nette Pointen auf) und dabei so ernst kuckte, dass meiner Mutter und Großmutter die Münder offenstehen blieben, während mein Großvater nach einer Schrecksekunde zur noch größeren Überraschung aller losprustete.
    Nach fünf Minuten bot er Arno einen Schnaps an, nach zehn das Du, nach zwanzig sein Erstgeborenes, ach, haste ja schon, na dann noch nen Calvados, warst du schon mal in Frankreich? Musst du hin, jetzt, wo endlich alles offen ist!
    Als meine Mutter am nächsten Morgen ins Geschäft kam, stand Arno schon davor, um meinen Großvater zu treffen, der ihm eine (und wohl insgeheim auch schon »die«) Lagerführung versprochen hatte. Danach besuchte er sie in ihrem Büro, das sie sich nun mit Helm teilte. Und da sie ihm vor Ort nicht erklären konnte, warum es unter dessen Tisch ständig klapperte, nahm sie ihn mit nach oben, wo er schließlich den Nachmittag über blieb, um ihr beim Lernen »zu helfen«, was sie natürlich nicht nötig hatte. Aber schön war es schon, dass er den ganzen Kram auch verstand. Meine Großmutter brachte einen zweiten Teller Kräuterspätzle, von denen Arno sagte, dass er noch nie so etwas und erst recht nichts so Gutes gegessen habe, womit dann auch sie versöhnt war.
    Als er im Begriff war zu gehen, begann es so zu schütten, dass mein Großvater meine Mutter ins Wohnzimmer schickte und ihm das Gästezimmer anbot. Meine Großmutter ließ die Schlafzimmertür einen Spalt weit offen, aber in der Nacht schlich Arno sich trotzdem zu meiner Mutter, die auf dem komischen Biedermeiersofa ohnehin schon kaum Platz fand. Dazu die tausend Sitzkissen meiner Großmutter, seine spitzen Ellenbogen in ihrem Rücken.
    Es wurde zu eng.
    Mein Großvater half ihnen, eine eigene Wohnung zu finden. Meine Großmutter lag mal wieder eine Weile im Sterben und erwähnte bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit Gundl, die sie ja jetzt bald wiedersehen würde. Dann verlegte sie sich darauf, meiner Mutter so viele furchtbar teure, furchtbar hässliche Möbel zu vermachen, bis es in der neuen Wohnung fast genauso aussah wie in der alten. Meine Eltern richteten sich zwischen sperrigen Tropenhölzern und auch sonst politisch zweifelhaften Materialen ein. Aber selbst der zwei Meter hohe Mahagonischrank war für Arnos Liebe noch zu klein.
    Überall hinterließ er Zettel mit kleinen Botschaften, wünschte meiner Mutter einen schönen Morgen, eine gute Nacht. Wenn sein Studium es erlaubte, das er, jetzt wo er durfte, dann doch noch mal angefangen hatte, an das Fach konnte er sich selbst nicht mehr erinnern, folgte

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