Fünf Kopeken
Großvater jedem Eintretenden zwei Oktaven tiefer, als es seine normale Stimmlage war, entgegencharmierte, im Zweireiher, ein blütenweißes Schnupftüchlein in der Brusttasche. Wenn irgend möglich begrüßte er die Kunden mit Handschlag und geleitete sie persönlich in die passende Abteilung, den rechten Arm ausgestreckt, irgendwo zwischen Hotelpage und dem salutierenden Freund überm Küchentisch. Er ließ die Fingerknöchel über die glatten Hosenbeine gleiten, sodass die Bügel hin und her schwangen, als würde ein Windstoß durch die Stoffreihen gehen, sprach von Qualität, von Tradition, von Familie und schnippte in die Luft, bis eine verfügbare Mitarbeiterin angelaufen kam, also meistens meine Mutter, weil: Mit dem Laufen hatte es auch die zweite Fuhre Verkäuferinnen nicht so.
»Ist ja auch schwer, mit der Kaffeetasse in der Hand und dem Telefonhörer unterm Kinn«, sagte meine Mutter und senkte den Kopf, wie ein Bulle vorm Angriff. An Samstagen kam ihr Hass auf die Belegschaft so richtig in Fahrt, das ganze Training der Woche zahlte sich da aus. Faul waren sie alle, »das kriegen die ja hier schon mit der Muttermilch eingetrichtert«, inkompetent die meisten, dazu völlig ironieresistent. » Nicht doch, lassen Sie sich nicht von mir beim Telefonieren stören. Ich füll die Bestellungen einfach selbst aus. Und was machtse? Labert weiter!«
Die Einzigen, die sie noch mehr verachtete als die Angestellten, waren die Kunden. Und auch die waren am Samstag schlimmer als sonst, die Schülerinnen, die »nur mal anprobieren« wollten, ich komm dann nächste Woche noch mal mit der Mutti. Die Pärchen, die nach dem dritten Milchkaffee nichts mehr mit sich anzufangen wussten, als sich gegenseitig pinkfarbene Pullover aus der »Madame 48«-Kollektion anzuhalten und sich dabei scheppich zu lachen. Die Familienmütter, die ihre Bälger zwischen den Cocktailkleidern Verstecken spielen ließen, während sie genau »dieselbe« Hose, wie die, die sie anhatten, noch mal wollten, »nur ein bisschen tiefer geschnitten. Und mit Taschen und vielleicht in einer anderen Farbe? Etwas frecher.«
Mit eingefrorenem Lächeln hängte meine Mutter die erbetene Größe über die Kabinentür und die tatsächliche daneben, sagte »die fallen sehr klein aus«, »da gibt man besser mal ein, zwei Nummern zu«, »man will ja auch noch atmen können, was?« und am Ende »klar weiten die sich beim Tragen«, weil es natürlich doch die kleinere sein musste. Ihre Finger teilten feucht gerändertes Fleisch, drückten Knöpfe durch Löcher, bei denen schon die Nähte ratschten, zogen Röcke von geblümten Schlüpfern und schließlich dring, dring, dringelnd über die Kasse. Die Klingel hatte mein Großvater extra kommen lassen, ein schepperndes, altmodisches Ding, eigentlich gar nicht sein Stil, aber: »Der Mensch ist ein Herdentier und der Altgenosse erst recht. Kauft der eine, kauft der andere.« Er fuhr sich über das Haupthaar, das er endlich dem ins Gräuliche driftenden Kranz über den Ohren angepasst hatte. »Man muss sie nur richtig konditionieren. Kuck doch, dem Vokuhila dahinten läuft schon der Speichel aus dem Mund, wenn es bimmelt.«
Meine Mutter reichte die doppelt verstärkten Papiertüten über den Tresen, sagte viel Spaß damit und auf Wiedersehen, wobei sie das letzte so auseinanderzog, dass es einem Rudi (oder Hansi oder Manni) Ehre gemacht hätte: »Auf wieder-sehen!« Und dabei hob sie leicht die Hand, wartete, bis der Kunde aus der Tür war. Bevor sie zum nächsten eilte.
»Schneller«, zischte mein Großvater.
»Nicht so schnell, du wirst schon wieder ganz rot«, meine Großmutter, die an den langen Samstagen auch wieder in den Laden kam. In erster Linie, damit sie das entrüstet ausgerufene »und natürlich das Geschäft!« nicht von der Liste der Dinge, derentwegen sie völlig überlastet, todmüde und sicher auch bald wirklich tot sein würde, streichen musste. In zweiter, weil mein Großvater fand, das sei gut fürs Geschäft. »Die Leute mögen Familienkonzerne, da fühlen sie sich, als wären sie zum Kaffee bei den Kennedys.«
Hilde Schneider. Mitglied der Direktion , zitterte es auf der Sicherheitsnadel an ihrer Brust, im Katalog noch ein bisschen schwammiger durch Besondere Aufgaben ergänzt, worunter meine Großmutter verstand, zwischen Mann und Tochter hin und her zu laufen, den Finger im Rhythmus eines Buntspechts in die jeweilige Schulter zu pieken und »darf ich dich mal unter vier Augen sprechen« zu
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