Fünf Kopeken
konnte.
»Inpardonnable«, rief er und knallte die Hand auf den Aktenberg vor meiner Großmutter, die bei der letzten Tour, um Zeit zu sparen, den Haupteingang genommen und, die Kasserolle zwischen zwei selbstgehäkelten Topflappen, wie eine Irre durch den Laden gerannt war, »in dem ich mich bemühe, den Anschein von Professionalität zu wahren, verdammt noch mal!« Meine Mutter saß schweigend daneben und überschlug im Kopf, wie lange sie später dafür brauchen würde, meine Großmutter wieder aus dem Schlafzimmer zu reden. Auf ihrem Oberschenkel lag Arnos Hand, seine andere krampfte sich um eine Gabel, die er voreilig aufgenommen hatte, sich jetzt aber weder traute, sie zurückzulegen, noch endlich loszuessen. Nebenan hörte man eine Verkäuferin ins Telefon lachen. In dem kleinen Fenster auf den Hinterhof regnete es schon wieder.
»Indiskutabel«, rief mein Großvater und schlug sich mit der Hand gegen den Schädel.
»Wenn ihr halt nie kommt«, jammerte meine Großmutter.
»Wenn wir nicht kommen? Glaubst du, wir drehen hier Däumchen? Es geht hier um unsere Existenz«, schrie er, von wo aus er nahtlos in den seit seiner Premiere tausendmal erprobten und immer wieder verfeinerten Monolog fand, Chance, Risiko, beim Schopf er- und zugreifen, sonst … ! Er redete sich in Rage, wurde immer lauter, während die anderen wortlos zu Boden blickten. Nur wenn er eine Sekunde innehielt, um Luft zu holen und/oder sich neue in -s einfallen zu lassen, schwappte das Lachen in die Stille, ebenfalls immer lauter, bis mein Großvater endlich von meiner Großmutter abließ und aus dem Büro stürzte.
»Ja wo sind wir denn hier?« Die Glastür flog gegen die Wand. Das Lachen brach ab. Das Profil meines Großvaters tauchte über der grauen Trennwand auf. Seine Arme flogen in die Luft, der Handrücken knallte in die Handfläche, während er in einer Lautstärke, gegen die selbst das ganze Velours machtlos war, seine Liste von hinten durchdeklinierte. »Inakzeptabel«, brüllte er, noch nie vorgekommen, ständig an der Strippe, aber, aber, in ihrer Pause dürfe sie ja wohl, ein Notfall, einen Dreck, einen Dreck interessiere ihn das. »Ich hab Sie nicht eingestellt, damit Sie die Eheprobleme Ihrer Freundin lösen.«
»Unter diesen Arbeitsbed … «
»Arbeit!«, schnitt ihr mein Großvater das Wort ab, »Arbeit? Sie wissen doch gar nicht, was das bedeutet!«
Arnos Finger drückten sich durch den Rock meiner Mutter. Ihr Oberschenkel darunter war eingeschlafen.
»Hören Sie«, sagte die Angestellte. Ihre Hand kroch über die Schulter, nestelte am Ärmel.
»Ich hab genug von Ihnen gehört«, rief mein Großvater.
Meine Mutter zog die Zehen nach oben. Das klumpige Blut in ihrem Bein war so schwer, dass sie das Knie kaum heben konnte. Sie betrachtete die Rückseite meiner Großmutter, das Kleid, durch das sich drei dicke Röllchen drückten, die ersten beiden über und unter dem Verschluss des Büstenhalters, die dritte entlang der Miederhose. Dazwischen schnitt der Stoff tief ins Fleisch, wie Sofarillen, in denen sich die Krümel sammeln.
»Das können Sie nicht machen«, rief die Angestellte. Aber mein Großvater stapfte schon zurück ins Büro. Er riss die Schranktür auf, zog sein Jackett aus. Meine Großmutter kam herbeigeeilt und half ihm, die Knöpfe am Handgelenk zu öffnen, während er sich mit dem anderen Arm ungeduldig das Hemd von der Schulter schüttelte. Durch das Feinripp am Rücken drückte sich ein dunkler, rautenförmiger Fleck.
Die Angestellte starrte durch die Scheibe. Das Oberteil rutschte ihr ein wenig von der Schulter. Dann nahm sie ihre Handtasche und lief den Flur entlang.
Der Hauch von Salbei und Zeder wehte vom Schrank herüber. Mein Großvater klatschte sich auf die Wangen. »Bei der ist wahrscheinlich das Maul das einzige entwickelte Organ«, brummte er, während er ein frisches Hemd vom Bügel nahm.
»Kohl?«, fragte meine Mutter.
»Strauß«, sagte mein Großvater, während er im Spiegel an der Innenseite der Schranktür die braungrauen Haarspitzen mit den grauen verstrich.
Meine Großmutter stopfte ihm das Hemd in die Hose und klappte den Kragen um, stellte sich auf die Zehenspitzen, obwohl ihre Schultern fast gleichauf waren.
In den Fußsohlen meiner Mutter begann es zu kribbeln. Sie hob den Oberschenkel mit beiden Händen an, Arnos Hand fiel von ihrem Rock.
Mein Großvater kam zurück zum Schreibtisch und ließ sich in seinen Sessel sinken.
»Kümmer du dich um die Annonce«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher