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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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machen.«
    »Ich mach’s aber trotzdem«, sagt meine Großmutter giftig.
    Meine Mutter dreht den Hahn zu. »Ich wollte nur schnell unter die Dusche, weil ich so durchnässt war«, sagt sie und nimmt meinem Vater den Hörer ab.
    »Wieso das denn?«
    »Hast du mal rausgekuckt?«
    »Entschuldige bitte, ich saß am Telefon und hab auf den Anruf meiner Tochter gewartet. Da hatte ich leider keine Zeit, auch noch die aktuelle Wetterlage zu überwachen.«
    Arno zieht die Mundwinkel nach oben. Mit dem Zeigefinger piekt er in die Bläschen auf ihrem Körper.
    »Es gießt in Strömen«, erwidert meine Mutter, und »jetzt bin ich ja da.«
    »Mein Gott, dann sag halt«, ruft meine Großmutter, »wie war’s denn?«
    »87 Prozent.« Unter den Füßen meiner Mutter knistert es.
    »Oskar, 87 Prozent!«, hört sie meine Großmutter vom Hörer wegschreien, dann meinen Großvater im Hintergrund: »Warum keine 100?«
    »100 Prozent hat niemand«, sagt meine Mutter, »87 ist schon wie ne eins.«
    »Hörst du, Oskar, das ist wie ne eins«, brüllt meine Großmutter und »Gott sei Dank, ich hab mir schon solche Sorge gemacht.«
    »Wieso denn? Du weiß doch, dass ich den Stoff vor und zurück kann.«
    »Das verstehst du nicht. Wenn du selbst mal eine Tochter hast, wirst du wissen, was ich meine.«
    »Wenn.«
    »Was?«
    »Ach nichts«, sagt meine Mutter.
    Mein Vater lässt genüsslich Luftbläschen platzen, bis sie völlig nackt vor ihm steht. An ihren Oberarmen bildet sich Gänsehaut.
    »Darf ich jetzt zu Ende duschen?«, sagt sie, »ich verspreche auch, dich nie wieder warten zu lassen. Kann mir ja eins von diesen tragbaren Telefonen kaufen.«
    »Um Himmels willen, die machen doch Krebs!«
    »Unsinn, Krebs ist eine Frage des Erbguts. Und bei uns in der Familie gab’s noch nie einen Fall.«
    »Pah. Wir wissen doch gar nichts von meiner Berliner Seite. Vielleicht sind die einfach nicht dazu gekommen, an Krebs zu sterben, weil sie davor schon tot waren.«
    »Mama, komm, ich frier.«
    »Ja, ja, ich weiß, du denkst, die spinnt wieder, aber wenn ich mal nicht mehr bin …«, sagt meine Großmutter, legt dann aber doch endlich auf.
    Mein Vater nimmt meiner Mutter den Hörer aus der Hand.
    »Ne eins also«, sagt er und schlingt die Arme um ihre Hüfte. »Das muss gefeiert werden! Lass uns ganz schick ausgehen, ja?«
    Meine Mutter reibt sich die Augen. »Ich bin müde.«
    »Das verfliegt, wenn wir erstmal unterwegs sind.« Das Rot in seinen Augen verästelt sich.
    Sie schaut auf ihn herab, während er ihre Arme nimmt und sie sich wie einen Pullover um die Hüfte knotet. »Wir könnten tanzen gehen.« Seine Lippen kriechen ihren Hals hinauf.
    Sie windet sich aus seiner Umklammerung. »Ich muss morgen um halb sieben raus.« Sie dreht ihm den Rücken zu und den Regler auf.
    Er greift nach ihrem Handgelenk und hängt sich daran. »Es ist doch noch früh.« Ihr Arm schlackert hin und her.
    »Du machst doch alles nass«, ruft sie und reißt sich los. Das Wasser spritzt auf seinen Arm. Er dreht sich zum Waschbecken. An seinen Schultern hängen die Reste ihres Schaums.
    Durch den Schleier aus nassem Haar sieht sie, wie er seine Zahnbürste unter einem viel zu dicken Strang blauweiß gestreifter Paste begräbt und sich unwirsch im Mund herumschrubbt. Der Bürstenkopf beult seine Backe aus. Sein Zahnfleisch muss jetzt für ihre Lustlosigkeit büßen.
    Sie dreht den Hahn zu. Klettert über den Wannenrand. »Tut mir leid«, sagt sie und versucht ihre Stimme sanft klingen zu lassen. »Ich will echt nur noch ins Bett.«
    Er spuckt aus, vergräbt sein Gesicht im Becken.
    »Nicht böse sein«, sagt sie und wickelt sich in das frische Handtuch, das er ihr auf den Wäschekorb gelegt hat.
    Er zieht den nassen Kopf nach oben. Das Wasser gluckert im Ausfluss.
    Sie macht einen Schritt auf ihn zu und reibt ihm die Zahnpastareste aus dem Mundwinkel. »Morgen nach der Arbeit«, sagt sie, »versprochen.«

7. Kapitel
    Im Laden roch es nach Neuwagen. Wahrscheinlich vom Teppichkleber auf dem Boden und an den Wänden, die mein Großvater völlig mit bordeauxfarbenem Velours hatte verkleiden lassen. Er fand das schick. Und die Asbestflecken verdeckte es auch. Wenn die Absätze in den langen, weichen Haaren einsanken, fühlte es sich an, als würde man über nasses Gras gehen. Es war Samstag, noch dazu ein »langer«. Grenzenlos guter Geschmack  – heute bis 18 Uhr stand an der Tür und dahinter auf der Treppenstufe »Oskar Schneider, Geschäftsführer«, wie mein

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