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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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zischeln, »nur einen Moment«, »dringend!«, bis derjenige ihr endlich folgte, um sich anzuhören, dass nur noch acht Paar karierte Herrensocken im Regal lägen. Dass die Jablonsky schon wieder, ich will ja nix sagen, aber hast du gesehen, dass der ihr Unterhemd oben aus der Blus’ rauskuckt? Vor allem aber, dass das Essen allmählich kalt würde, »sogar der Salat«, wie Arno jedes Mal hinzufügte, weil er auch ein bisschen böse sein wollte. Aber dann auch wieder nicht so böse, dass meine Großmutter ihm am Ende noch böse wäre.
    Die gemeinsame und nur gemeinsam einzunehmende Mahlzeit, die zum ersten Mal versuchsweise um zwölf und von da an im Halbstundentakt immer wieder neu, mit den immer alten Klagen, serviert wurde, war eine Geduldsprobe für alle Beteiligten, die die natürlich nie bestanden. Anfangs hatte meine Großmutter das Essen noch in der betriebseigenen Mikrowelle aufgewärmt. Dann las sie eines Tages in der Brigitte , deren Abo nach Gundls Tod ebenfalls auf sie übergegangen war, einen Artikel über die krebsverursachende Strahlung und war danach so besorgt, dass sie den sich gerade leise knisternd im Kreis drehenden Braten sofort wegwarf und zurück nach oben in die Wohnung lief, um ein zweites Mahl zuzubereiten und im Büro meines Großvaters anzurichten.
    In dem jedoch trotz mehrfacher Appelle niemand auftauchte.
    Das Telefon an der Kasse wurde im Fünfminutentakt angerufen, immer mit der Bitte, den Rest der Direktion »sofort!« zum Essen zu schicken, bis meine Großmutter schließlich selbst in den Laden stiefelte, um meiner Mutter tödlich beleidigt über einen Kunden mit offenem Hosenstall hinweg zu erklären, sie gehe jetzt mal wieder hoch und fange von vorne an. Meist brauchte es vier, fünf Durchgänge, bis sowohl mein Großvater, meine Mutter als auch Arno sich gleichzeitig zehn Minuten »loseisen« konnten. Mein Großvater war zu diesem Zeitpunkt allerdings meist schon so geladen, dass er den Großteil der Mittagspause damit vertat, gegen die glücklicherweise auch schalldämpfenden Teppichbahnen anzuschreien  – so auch an diesem Tag, den meine Mutter in ihrem Gedächtnis als »den danach« bestimmte, auch wenn sie sich erstmal alle Mühe gab, so zu tun, als habe es den davor nie gegeben.
    Nach der Sache in der U-Bahn hatte sie einfach weitergeredet, über meinen Vater, der wenigstens schon mal eine Bar hatte aussuchen wollen, in der sie das »sensationelle Prüfungsergebnis « /»war doch nur zur Probe! « /»sensationell ist es trotzdem!« feiern könnten. Wie sie ihm die Prüfungsfragen gestellt und er mit Freude den gleichen Fehler wie sie gemacht hatte. Hatte stur mit ihrer Geschichte weitergemacht, so, als sei seither überhaupt nichts passiert. Und ich hatte zugehört, wie sie einen neuen Tag begann und mich mit ins Geschäft nahm, wie sie einen Kunden nach dem nächsten abfertigte, jedem Einzelnen eine neue blöde Frage in den Mund legte. Erst als die Brokkoliröschen vom ständigen Aufwärmen so traurig aussahen, dass meiner Großmutter die Tränen kamen, fragte ich, was denn jetzt eigentlich mit diesem Mann sei.
    »Mit welchem Mann?«, fragte meine Mutter, und ihre Stimme klang wieder ganz normal, genauso laut und gehetzt und ruppig wie sonst auch.
    »Der, der bei dir im Haus gewohnt hat.«
    »Wie kommst du denn jetzt auf den?« Sie sah mich an, wie man einen überfahrenen Vogel auf der Straße ansieht.
    »Ich wollt nur wissen, ob noch was mit dem kommt«, sagte ich. Und bedauerte es sofort.
    »Langweil ich dich, oder was?«
    »Nein, natürlich nicht. Du schienst nur vorhin so nervös  … «
    »Wieso denn nervös?«
    »Nicht nervös. Vielleicht eher, irgendwie, aufgewühlt. Deshalb dacht ich, dass, also, dass du mir vielleicht erstmal von ihm  … «
    »Also was?«, rief sie und schlug mit beiden Händen aufs Bett wie ein Kind im Schwimmbad, wenn es aus dem Wasser muss. »Wenn’s dir nicht passt, wie ich erzähl, kannst du ja gehen!«, »Zwingt dich niemand, hier zu bleiben!«, rief »Ich kann auch ganz die Klapp halten!«, und »Hol dir doch nen Film aus der Videothek, da kannste vorspulen wenn’s dir zu lange dauert«, sodass ich mich schließlich entschuldigte, ohne genau zu wissen wofür.
    »Der Opa war also mal wieder geladen«, fuhr sie fort und machte eine kurze Pause, um sicherzugehen, dass ich sie nicht noch mal unterbrach, bevor sie meinen Großvater wieder schreien und stöhnen und schimpfen ließ, so laut, dass sie sich eine Weile hinter ihm verstecken

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