Fünf Kopeken
Großmutter machte einen Schritt nach vorne. »Ihr habt euch wirklich ein bisschen Spaß verdient«, sagte sie, »ich würde auch gerne mal wieder ausgehen. Man sieht ja nichts mehr als die eigenen vier Wände.«
»Ihr seid herzlich eingeladen, mitzukommen!«, rief Arno, der die Falle nicht sah. Meine Mutter stieß die Luft durch die Nase aus, aber er schaute sie nur mit seinen harmlosen großen Augen an und lächelte. »Wir würden uns freuen.«
»Unmöglich!«, stieß meine Großmutter aus, »bis wir hier fertig sind, ist es bestimmt neun. Dann mach ich Abendessen, jag eine Maschine Wäsche durch, und während die läuft, geh ich hoch zum Helm und kuck, dass der nicht in seinem eigenen Dreck erstickt, am Ende bleibt ja doch alles an mir hängen!« Sie hielt sich an der Tischkante fest. »Und morgen müssen wir ja auch wieder ins Geschäft.«
»Am Sonntag?«, fragte Arno.
»Einer muss doch dafür sorgen, dass am Montag alles wieder auf Vordermann ist!« Sie legte wieder die Hand vor den Mund, ihre Augen wurden länglich, während sich in ihren Wangen diagonale Falten bildeten. »Aber schön, dass ihr beide für so was Zeit habt.«
Meine Mutter klopfte sich mit dem Kugelschreiber gegen die Schläfe.
Das Telefon klingelte, mein Großvater nahm ab. »Ja, meine Frau kommt gleich nach vorn«, sagte er, »ich hoffe, Sie haben die Rechnung mitgebracht.«
Meine Großmutter ließ die Lippen brrren wie ein Pferd.
»Hören Sie«, fuhr mein Großvater fort, »die Frau Berenth ist heute gegangen worden. Sagen Sie der Wolff, wenn sie im Laden fertig ist, soll sie sich bei mir melden.«
»Du hast es versprochen«, flüsterte Arno.
Meine Mutter verzog die Lippen, ohne aufzusehen.
»Wir machen überhaupt nichts mehr zusammen.«
»Wir sehen uns doch den ganzen Tag.«
»Das gilt nicht«, sagt Arno, »ich mein so richtig!«
»Was geht denn bitte mich das an, ob Sie schon zusammen bei den Pionieren waren«, rief mein Großvater in den Hörer. »Wenn’s Ihnen da so gut gefallen hat, gehen Sie doch nach Kuba, ich höre, da sucht man derzeit händeringend Ihresgleichen.«
»Komm schon«, bettelte Arno, »nur ein paar Stunden.« Er nahm ihr den Kuli aus der Hand. »Wir rufen Babsi an, ob sie mitkommt. Die sitzt dir doch schon die ganze Zeit im Nacken. Dann schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe.« Er legte den Kopf schief und schob die Unter- über die Oberlippe.
»Ich bezahl Sie nicht dafür, dass Sie mir eine Geschichtsstunde geben«, brüllte mein Großvater. Er hielt den Hörer wie ein Funkgerät vor den Mund. »Und machen Sie um Himmelswillen den Knopf zu. Wir sind hier nicht im Interhotel.« Er drückte auf die Gabel. »Als ob sie alle vom selben Wurf wären«, stöhnte er, und zu meiner Großmutter gewandt: »Deine Plunder sind da.«
»Meine?«, sagte sie. »Ich tu das doch alles nur für euch! Wenn ihr halt nie pünktlich kommt.«
»Ja, ist gut jetzt«, sagte mein Großvater und wedelte mit dem Hörer in der Hand zur Tür.
Meine Großmutter fasste sich an den Magen, als sei der Rouladenbrocken noch immer nicht ganz durch. Sie presste die Lippen aufeinander, dass ihr Kinn weiß anlief, lief dann aber doch in den Gang hinaus, nicht ohne die Glastür hinter sich zuzuschmeißen.
»Wenn auch nur ein Pfennig fehlt!«, rief er ihr nach. Er legte den Hörer auf und fuhr sich durchs Gesicht. Auf seinem Handrücken breiteten sich die gleichen grauen Härchen aus, wie über den Ohren. »Die haben ihr ganzes Leben nichts anderes gelernt, als den Staat zu bescheißen. Ein bisschen Fahnenwedeln und an Weihnachten in Thailand Pina Colada trinken macht das nicht weg.« Er wippte zur Seite. »No offence.«
»Non täkin«, antworte Arno und machte eine wegwerfende Handbewegung. Er drückte den Rücken durch wie ein Oberschüler beim Abhören und legte die Hände in den Schoß. »Sagt ein Grenzsoldat an der Berliner Mauer zum anderen: Was hältst du von der DDR ? Antwortet der: Dasselbe wie du. Sagt der erste: Dann muss ich dich verhaften.«
Mein Großvater schnalzte mit der Zunge. »Gefällt mir«, sagte er.
Das Telefon klingelte wieder. »Nein, was Schlimmes?«, fragte mein Großvater und nahm das Jackett von der Lehne. Mit der freien Hand schlüpfte er in den Ärmel. »Hm. Ja. Rühren Sie sich nicht vom Fleck. Ich bin sofort da!« Er stieß sich am Fensterrahmen ab, rollte herum. »Mein Gott, einer bekloppter als der andere«, rief er und lief aus dem Büro.
Meine Mutter zupfte sich das Halstuch zurecht.
»Was ist
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