Fuenf Maenner Fuer Mich
mich amüsiert betrachtet. Ich suche nach dem Schloss, dem Schlüssel. Frauen und Technik, denkt er jetzt sicher und übernimmt selbst, verstaut sein Gepäck und dann fahren wir los.
Seit zwei Jahrzehnten lebe ich in dieser Stadt. Nach wenigen Minuten habe ich mich heillos verfahren, mal wieder. Mein Kopf rattert. Sind Susanne und Winston ein Paar? Noch nie habe ich mich von einem Unbekannten so ohne Weiteres auf den Mund küssen lassen! In lockerem Tonfall werfe ich ein kleines „Na, woher kennt ihr euch?“ ins Fahrzeuginnere. „Aus dem Internet“, antwortet er, „stimmt’s, my darling?“ Er zwinkert ihr über die Schulter zu. „Seit Monaten führen wir eine heiße Internetbeziehung. Endlich lerne ich diese Sexbombe persönlich kennen.“ Sie nickt, er grinst. Mein armer Kopf ist überfordert. In normalem Geisteszustand hätte ich den ironischen Unterton sofort bemerkt.
Nach 45 Minuten kommen wir endlich an; normalerweise braucht man für den Weg vom Bahnhof gerade mal eine Viertelstunde. In der Wohnung reiße ich mich zusammen, will niemanden mehr mit meinem emotionalen Irrsinn belästigen. Geflissentlich erkläre ich die Funktionsweise von Heizung und Wasserkocher, zeige die Klappvorrichtung der Schlafcouch, übergebe Winston die Schlüssel und überlege fieberhaft, wie ich hier heil wieder rauskomme.
Ein gehauchtes Küsschen auf beide Wangen wäre vielleicht angesagt, doch angesichts der Vorgeschichte ist das zu riskant. Ich gehe Richtung Wohnungstüre, während Winston und Susanne in der Mitte des Raums stehen bleiben. Vom sicheren Fluchtwinkel der Türe aus vollführe ich eine kleine Winkbewegung und flüstere: „Ich bin dann mal weg!“
Doch bevor ich aus der Wohnung rennen kann, breitet dieser Mann seine Arme aus und sagt mit tiefer Stimme, die meine Bauchdecke vibrieren lässt: „Darf ich dich umarmen?“ Ich bin perplex. Mein Herz schreit: „Ja!“ Mein Verstand schreit: „Nein!“ Ergebnis dieses Disputes sind Worte, die nicht ich, sondern mein Unterbewusstsein ausruft: „Ihr könnt mich alle gerne umarmen!“
Huch! Welch Glanzleistung meiner verbliebenen drei grauen Zellen. Schon umschließt mich sein Körper wie ein warmer Wintermantel. Stille kommt über mich. Alles ist gut, man ist lieb zu mir. Himmel, tut das gut! Ich könnte ewig so stehen bleiben. Doch dann reiße ich mich los und stürze aus dem Haus.
Das Klingeln an der Bürotür schreckt mich aus meinen Gedanken. Es sind Winston und Susanne. Er strahlt, sie lächelt verkniffen. Sie fragen, wo man hier im Viertel zu Abend essen kann, und ich begleite sie spontan zu Alfredo. Seine Antipasti – Carpaccio, in feinstes Olivenöl eingelegte Auberginen und Paprika oder marinierte Meeresfrüchte – werden das amerikanische, sonst nur an Burger und Fast Food gewöhnte Herz erfreuen. Alfredo begrüßt uns mit einem theatralischen „Ciao!“. Er ist mehr Künstler als Wirt, jeder Gast ist für ihn einzigartig, und dafür liebe ich ihn. Kaum sitzen wir am Tisch, ergreift Winston meine Hand und lässt sie nicht mehr los. Alfredo ruft mir den ganzen Abend auf Italienisch Komplimente zu: „Du bist die schönste Frau des Stadtviertels!“, „Du bist die Weiblichkeit in Person!“, „Du siehst aus wie ein Hollywood-Star!“ Er steigert sich mit unglaublicher Geschwindigkeit, so schnell macht man sonst nirgends Karriere.
Seit ich mir jede Woche ein bis zwei neue sexy Kleiderstücke kaufe – mal einen kurzen Rock, mal eine ausgeschnittene Bluse und dazu überproportional viele Schuhe und Handtaschen –, höre ich so viele Komplimente wie nie zuvor. Ich entdecke gerade zum ersten Mal meinen eigenen Stil, muss niemanden mehr um seine Meinung fragen. Überrascht bemerke ich: Mein Stil kommt an. Mir wird klar: Ich musste gar nichts entwickeln, mein Stil war immer da, ich musste mir nur erlauben, ihn auszuleben.
Gerade erfährt Alfredo, dass mein Gast Opernsänger ist. Ich denke, ich höre nicht recht. Ein Opernsänger? Hatte ich nicht einen ebensolchen auf meine 5L-Wunschliste geschrieben? Meine Güte, ist das Universum aber schnell. Alfredo bittet um eine Kostprobe seines Könnens und Winston steht auf. Wird er etwa singen?
Alles vibriert, Gläser auf Tischen, Flaschen in Regalen, mein Trommelfell. Ich trau mich nur nicht, die Ohren zuzuhalten. Diese große Stimme sprengt den Raum. Der letzte Ton der Arie verklingt. Rappelnder Applaus. Ich bin stolz wie Oskar. Und denke: Eben noch habe ich das harmlose Wort „Opernsänger“
Weitere Kostenlose Bücher