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Fünf Schlösser

Fünf Schlösser

Titel: Fünf Schlösser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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gesellt ich mich einer »Partie« zu: vier Personen und einem Pinscher, die, den Pinscher nicht ausgeschlossen, mit jener Heiterkeit die, von alter Zeit her, allen Gräberbesuch auszeichnet, ihre Pilgerfahrt bewerkstelligten. Es waren kleine Leute, deren ausgesprochenster Vorstadts- und Bourgeoischarakter mir, in dem Gespräche, das sie führten, nicht lange zweifelhaft bleiben konnte.
    Die Tochter ging ein paar Schritte vorauf. »Er soll ja so furchtbar arm gewesen sein«, sagte sie mit halber Wendung, während sie zugleich mit einem an einer Kette hängenden großen Medaillon spielte. »Solch berühmter Dichter! Ich kann es mir eigentlich jar nich denken.«
    »Ja, das sagst du wohl, Anna«, sagte der Vater. »Aber das kann ich dir sagen, arm waren damals alle. Und der Adel natürlich am ärmsten. Und war auch schuld. Denn erstens diese Hochmütigkeit und dann dieser Kladderadatsch und diese Schlappe. Na, Gott sei Dank, so was kommt nich mehr vor. Davor haben wir jetzt Bismarcken.«
    »Ach, Herrmann«, unterbrach ihn hier die Frau, »laß doch den . Hier sind wir ja doch bei Kleisten. Und arm? Ich hab es janz anders gehört; um eine kranke Frau war es. Und er soll ihr ja so furchtbar geliebt haben.«
    »I, Gott bewahre«, sagte der Mann in einem Ton, als ob es sich um das denkbar Unglaublichste gehandelt hätte.
     
    Während dies Gespräch noch andauerte, hatten wir einen Punkt erreicht, wo der über die Wiese führende Weg ein Ende zu haben schien, bis wir zuletzt, bei schärfrem Hinsehn, eines Fußpfades gewahr wurden, der sich, zwischen allerlei Gestrüpp hin, in einer schmalen Schlängellinie fortsetzte. War das unser Weg? Ein Versuch schien wenigstens geboten, und siehe da, keine hundert Schritt, und wir hatten's und standen an der Grabstelle, die, seitab und einsam im Schatten gelegen, denselben düstren Charakter zeigte wie das Leben, das sich hier schloß. Auch eine pietätvolle Wiederherstellung der durch viele Jahre hin vernachlässigten Stelle hat an diesem Eindruck nichts ändern können. Ein Eisengitter zwischen vier Steinpfeilern schließt das Grab ein, das zwei Grabsteine trägt: einen abgestumpften Obelisken aus älterer und einen pultartig zugeschrägten Marmor aus neurer Zeit. Auf dem abgestumpften Obelisken fanden wir ein Häuflein Erde, darin eine sinnige Hand, vielleicht keine Stunde vor uns, einen Strauß unterwegs gepflückter Feldblumen eingesetzt hatte. Zu Füßen des Obelisken aber, auf dem zugeschrägten Marmorsteine, stand das Folgende: Heinrich von Kleist
 
Geboren 10. Oktober 1776,
gestorben 21. September 1811
 
Er lebte, sang und litt in trüber, schwerer Zeit,
Er suchte hier den Tod und fand Unsterblichkeit .
    Die Tochter las die Verse laut, und ob es nun die Nähe des Grabes oder vielleicht auch nur die Verlegenheit war, in die so viele Menschen geraten, wenn sie Verse hören (ein Rest von Respekt vor dem alten Propheten- und Bardentum), gleichviel, alles im Kreise wurde still, und diese Stille wirkte wie Huldigung und Gebet.
    Erst der Rattenpinscher, dem die Szene zu lange dauern mochte, gab uns durch einen dreimaligen Unmutsblaff unsren Augenaufschlag und gleich danach auch unsre Bewegung wieder, und denselben Schlängelpfad entlang, auf dem wir gekommen waren, schritten wir nunmehr auf die draußen liegende Waldwiese zurück.
     
    Neben der Tochter ging jetzt ein in dem doppelten Abhängigkeitsverhältnis von Geschäft und Liebe stehender junger Mann und versuchte das auf dem Hinweg unterbrochne literarische Gespräch wieder aufzunehmen. Er begann mit H. von Kleists Käthchen, das alle sonderbarerweise kannten, und gebrauchte dabei den Ausdruck »holdseliges Geschöpf«.
    Aber darin versah er es durchaus, und Anna, die das Prinzip der »Erziehung von Anfang an« aller Wahrscheinlichkeit nach von der Mutter adoptiert hatte, replizierte scharf: »Ich weiß nicht, Herr Behm, was Sie so nennen. Ich find es bloß unnatürlich, immer so nachlaufen und sich alles gefallen lassen. Und es verdirbt bloß die Männer, die schon nichts taugen.«
    Er wollte mit Nachdruck und Wärme das Gegenteil versichern, aber die Mutter trat peremtorisch dazwischen und sagte: »Recht, mein Anneken... Ja, Herr Behm, Anna hat recht.«
    Und nun waren wir wieder an der Stelle, wo der Weg sich teilte, weshalb ich meinen Hut zog und mich aufs artigste verabschiedete. Nichtsdestoweniger konnt ich, rückblickend, an Blick und Gesten unschwer erkennen, daß die Meinungen über mich schwankend und nur die der

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