Fünf: Schwarzwald Thriller 1
kletterte hinauf. Das Fenster hatte die Mutter geöffnet, das hatte er gesehen, vermutlich, nachdem sie ihrer Tochter einen Kuss zur Nacht gegeben hatte.
Eine leichte Sommerbrise hätte den zarten, weißen Vorhang vor ihrem Fenster nach draußen geweht, wenn er sich nicht an seinem Körper verfangen hätte. Also musste ihre Zimmertür offen stehen. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze.
Langsam schwang er ein Bein über den Fenstersims, dann kletterte er hinein. Sie schlief. Ihr kleiner Mund war leicht geöffnet und beim Einatmen schnarchte sie leise. Der friedliche Anblick rührte ihn. Das tat er immer.
Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Kindern vorher mindestens einmal so nahe zu kommen wie heute.
Wenn ihre Eltern wüssten, in welch großer Gefahr ihre Tochter in diesem Augenblick schwebte, dachte er amüsiert.
Die Kleine grunzte und rollte sich zusammen. Dann stöhnte sie leise und drehte sich auf die andere Seite.
Sie wurde unruhig, spürte vielleicht im Traum die Bedrohung, die Veränderung, die in der Luft hing.
Es war Zeit für ihn zu verschwinden.
*
Die Besprechung war anstrengend gewesen. Insgesamt hatten sie ihr Täterprofil enger stricken können.
Mittlerweile waren sie sich sicher, dass der Täter über ein unauffälliges, eher freundliches Aussehen verfügen musste. Wenn Katrin von Emma ausging, so schien der Mann auf sie nicht befremdlich gewirkt zu haben, sonst wäre das schüchterne Mädchen sicher nicht so schnell in sein Auto geklettert. Bei Emma zumindest war es nach den Aussagen ihrer beiden Freundinnen so gewesen, dass das Mädchen zwar weinend, aber immerhin freiwillig in das Fahrzeug des Täters gestiegen war. Also musste er eine andere Masche anwenden als die klassische Hundebabysache.
Das zeigte ihnen, dass der Täter über eine gewisse Bildung verfügen musste, denn Kinder zum Weinen zu bringen und sie anschließend doch noch überreden zu können, in sein Auto einzusteigen, setzte Eloquenz voraus.
Und Eloquenz setzte wiederum Intelligenz voraus.
Katrins Gedanken kreisten seit Tagen nur noch um das eine Thema. Auch wenn sie mit Darren zusammen war, morgens nach dem Aufwachen, nachts, nachdem sie sich geliebt hatten, sprachen sie über die toten Kinder, Julia Göggel, oder diskutierten den Charakter und die Motive des Täters.
Katrin brauchte eine Ablenkung. Der Gedanke war ihr schon beim Aufstehen gekommen. Je weiter der Tag vorangeschritten war, je mehr Raum sie dem Täter in ihren Gedanken eingeräumt hatte, umso mehr hatte sie sich danach gesehnt. Und dann hatte Darren noch einmal in die Redaktion fahren müssen.
Katrin zog sich einen Hausanzug aus kuschelweichem Nikki an und legte sich mit einer Schüssel Obst auf das Bett. Dann wählte sie die Nummer ihrer Mutter.
»Schwarz?«
»Hallo Mama, hast du Zeit?«, fragte Katrin und freute sich, dass ihre Mutter heute tatsächlich einen freien Nachmittag zu haben schien.
»Ist etwas passiert?« Die Stimme ihrer Mutter hatte einen leicht panischen Klang angenommen.
Katrin stöhnte innerlich. »Nein, Mama«, beruhigte sie sie. »Es ist nichts. Ich habe nur Lust, ein bisschen mit dir zu plaudern.« Sie schob sich eine Erdbeere in den Mund und kaute genießerisch.
»Ist was mit Darren und dir?«
»Mama, es ist alles in Ordnung, soweit es in so einer Zeit in Ordnung sein kann.« Sie schob sich eine weitere Erdbeere in den Mund. »Ich habe nur gedacht, dass ich mich gern mal wieder über etwas anderes unterhalten möchte als Mordfälle.« Sie musste husten, weil ihr ein bisschen Fruchtsaft in die Luftröhre geraten war.
»Geht’s wieder?«, fragte ihre Mutter und Katrin sah ihr besorgtes, weiches Gesicht vor sich.
»Ja, geht schon wieder«, bestätigte sie. »Also: Wie sieht es denn jetzt aus? Hast du Lust und Zeit, um mit mir ein bisschen den neusten Dorfklatsch durchzuhecheln?«
Zum ersten Mal, seit Katrin angerufen hatte, lachte ihre Mutter herzlich auf.
»Na, da schau mal einer unser kleines Landei an.«
»Mama …«
»Ich freu mich doch nur, dass du dich immer noch für deine Heimat interessierst.« Ihre Mutter schien sich sehr mit ihrer Antwort zu beeilen. »Das macht es wahrscheinlicher, dass du irgendwann zu uns zurückkommst.«
O Mann. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Katrin stellte die kleine Glasschüssel mit den Erdbeeren auf ihren Nachttisch und trat auf die Dachterrasse heraus.
»Also. Was gibt es Neues? Geburten, Hochzeiten, Todesfälle, Ehebrüche … irgendwas muss
Weitere Kostenlose Bücher