Fünf: Schwarzwald Thriller 1
jemals ein Kind in diesem Haus gewesen war, gab es auch hier nicht die geringste Spur.
»Was, wenn die beiden nicht hier sind, Josef? Was, wenn er sie woanders versteckt hat? Irgendwo, wo wir sie ohne seine Hilfe nicht finden können?«
Horn erwiderte ihren Blick mit finsterer Miene. »Dann prügele ich die Wörter so lange aus ihm heraus, bis wir wissen, wo die Mädchen sind.«
Ihr Blick fiel auf einen Wandschrank an der gegenüberliegenden Zimmerwand. Angst schnürte ihr die Luft ab und sie spürte, wie sich überall auf ihrem Körper kalter Schweiß bildete. »Ich hoffe, dass das wirklich nur ein Schrank ist«, sagte sie und deutete auf die weißen Holztüren.
»Ich hoffe nicht«, erwiderte Horn und an seinen weit geöffneten Augen sah Katrin, dass auch er Angst hatte, was sie hinter dieser Tür entdecken würden.
Langsam, mit klammen Fingern, öffnete Horn die kleine Tür einen Spaltbreit und warf einen Blick hinein.
Sekunden später riss er die Tür weit auf, brüllte: »Sanitäter«, und stürmte in den Raum hinein.
Katrin stürzte hinterher. Nachdem sie einige Kleidungsstücke zur Seite geschoben hatte, erkannte sie, dass hinter der Tür eine etwa zehn Quadratmeter große Kammer verborgen lag.
In dem Augenblick, als Katrin den Raum betrat, spürte sie, dass die Hölle hier ihren Platz auf Erden gefunden hatte.
So aufgeräumt und ordentlich und klinisch rein es sonst im Haus von Ralf Rainert gewesen war, so unbeschreiblich war das Chaos, das sich ihr beim Betreten des kleinen Zimmers bot.
Ein winziges, zugenageltes Fenster ließ gerade genug Helligkeit hinein, um im schummrigen Licht ein paar absurde Einrichtungsdetails entdecken zu können.
In einer Ecke des Verschlags stand eine Toilette, in der anderen Ecke eine Art Feldbett aus massivem Holz.
In dem Gewühl von Bettzeug und dreckiger Wäsche, das auf dem Bett lag, hätte sie die winzige Gestalt beinahe übersehen, wenn nicht plötzlich ein heller Sonnenstrahl durch eine Spalte des zugenagelten Fensters gedrungen wäre. Das Licht verfing sich in einem Wirrwarr blonder Locken, die in den schmuddeligen Laken und Wäschebergen wie ein Heiligenschein leuchteten. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie zu spät gekommen waren.
Zwei Sanitäter und eine Notärztin schoben sich an Katrin vorbei und griffen nach dem leblosen Körper des kleinen Mädchens.
Augenblicke später trat die Ärztin zurück und verließ mit gesenktem Blick die Kammer.
Madeleine Reichmann war tot. Ihr lebloser, geschundener Körper lag zusammengerollt wie ein Embryo auf dem dreckigen Bett, das in den letzten Stunden ihre Folterbank gewesen sein musste. Ein übergroßes Leinentuch, das Horn einem Leichentuch gleich über sie gezogen hatte, schützte sie wenigstens im Tod vor den Blicken der vielen fremden Menschen, die plötzlich das sonst so einsame und stille Haus überfüllten, um jeden noch verwertbaren Beweis zu sichern und nach Melissa zu suchen, die nach wie vor verschwunden war.
*
Ralf Rainert lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien entspannt auf das zu warten, was auf ihn zukommen würde. Die kalte Gelassenheit, die aus jeder Pore seines Körpers zu strömen schien, machte Josef Horn rasend.
»Wo ist das Mädchen, Rainert?« Josef rückte seinen Stuhl scharrend näher an den schlichten Metalltisch heran.
Ralf Rainert zog geräuschvoll die Nase hoch. »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass ihr die Kleine nicht gefunden habt?« Rainert spielte den Entsetzten. »Nun, hinter einem Schrank in meinem Schlafzimmer …«
Er wurde von Josef unterbrochen. »Dieses Mädchen haben wir gefunden, du Schwein. Wo ist Melissa?«
Rainert grinste, sonst aber reagierte er nicht.
»Warum musste Madeleine Reichmann so schnell sterben, Rainert? Sonst sind Sie mit den Kindern doch, wie soll ich sagen … umsichtiger umgesprungen.« Josef hatte einen sanfteren Ton eingeschlagen. Er durfte sich durch seine Gefühle Rainert gegenüber nicht die Chance verbauen, an Informationen über Melissa heranzukommen.
»Mit Ihnen spreche ich nicht, Herr Kommissar«, schnarrte Rainert und klang bei dem Wort Kommissar so abfällig, dass Josef sich kaum noch beherrschen konnte.
»Wissen Sie, was ich am liebsten machen würde, Rainert?« Er beugte sich über den Tisch zu dem Gefangenen hin. »Am liebsten würde ich Ihnen Ihr selbstgefälliges Grinsen aus Ihrer hässlichen Visage prügeln, Sie Arschloch! Also, wo ist Melissa?«, brüllte er und schlug mit der flachen Hand auf den
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