Fünf: Schwarzwald Thriller 1
endgültigen Sieg manchmal über eine Niederlage führen musste. Er lächelte. Er verlor diese Schlacht nur, um den Krieg zu gewinnen. Seinen Krieg. Dann lehnte er sich zurück und wartete.
*
Katrin wusste nicht, was genau sie erwartet hatte, zu sehen. Vielleicht hatte sie ihn sich mit Hörnern auf dem Kopf vorgestellt, vielleicht mit Schaum vor dem Mund und wild flackernden Augen. Jedenfalls hätte sie nie mit der durchschnittlichen, angenehmen Erscheinung des Mannes gerechnet, der hinter den tief herabhängenden Zweigen einer Trauerweide im Halbschatten stand und die Vorgänge auf dem Parkplatz beobachtete.
Nichts an seinem Äußeren deutete darauf hin, dass dieser Mann den Tod eines Kindes plante. Sah er Melissa da schon vor sich? Bleich und kalt?
Jetzt musste er bemerkt haben, dass die Kamera in seine Richtung zeigte, denn eine Sekunde, nachdem er ihnen direkt in die Augen gesehen zu haben schien, ließ er sich auf den Boden gleiten und verschwand.
»Das ist der Prinzessinnen-Mann«, erklärte Uli prompt noch einmal. Sichtlich stolz, etwas Wichtiges beigetragen zu haben.
»Und jetzt klärt mich bitte mal jemand darüber auf, wer dieser Prinzessinnen-Mann ist und warum jeder aufschreit, wenn er von ihm hört. Nur ich scheine hier nicht Bescheid zu wissen.« Horn baute sich vor Katrin auf.
»Es ist wohl im Trubel der gestrigen und heutigen Geschehnisse vergessen worden«, sagte Katrin leise.
Sie hatte ein fürchterlich schlechtes Gewissen, aber wer hätte auch ahnen können, dass die Aussage der Kleinen, sie habe den Mann schon einmal vor Melissas Haustür gesehen, sie tatsächlich weiterbringen würde?
Sie hatte doch nicht ahnen können, dass die Wagners den Kidnapper ihrer Tochter auf Video festgehalten hatten. Diesmal war es Darren, der Horn über Ulis wichtige Beobachtung ins Bild setzte. Stephanie Wagner stieß einen Schrei aus, als sie hörte, wie lange ihre kleine Tochter schon im Visier des Mörders gewesen war.
»Das beweist doch aber, dass wir eigentlich nichts hätten tun können, um die Entführung zu verhindern«, sagte Thomas Wagner plötzlich in die betroffene Stille, die nach Stephanie Wagners Schrei eingetreten war.
Alle drehten ihren Kopf in seine Richtung. Er öffnete die Arme, als wollte er um Absolution bitten. »Ich meine, wir hätten Melissa nicht besser schützen können. Der Kerl hätte doch so lange auf der Lauer gelegen, bis er sie gehabt hätte. Irgendwann hätten wir auch mal schlafen müssen.«
Katrin nickte. Es stimmte. Thomas Wagner hatte recht. Das Schwein hatte Melissa haben wollen und er hätte auch nicht aufgegeben.
»Ich schicke das Band in die Technik«, sagte Horn und küsste Uli auf den Scheitel. Dann streichelte er ihre Wange. »Das hast du wirklich toll gemacht, mein Schatz. Ganz toll.« Er stand auf und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und wartete, dass Katrin und Darren ihm folgen würden.
»Ich bleibe hier«, sagte Darren.
»Warum?«, fragte Katrin verblüfft und blieb stehen.
»Ihr braucht meine Hilfe nicht mehr. Das Einzige, was ihr im Augenblick tun könnt, ist warten, ob das BKA bereits eine erkennungsdienstliche Maßnahme gegen das Schwein in den Akten hat.« Er warf einen Blick auf Stephanie Wagner. »Ich werde hier mehr gebraucht.«
*
Ralf Rainert öffnete mit einem gelassenen Gesichtsausdruck die Tür.
So gewöhnlich sah der Teufel aus!
Katrin hatte den Eindruck, als hätte er sie bereits erwartet.
»Ach, die Herren und Damen von der Kripo«, sagte er in launigem Plauderton, winkte mit zynisch hochgezogenen Augenbrauen in die Runde und trat einen Schritt zur Seite, um sie hereinzulassen.
Als Erstes fiel Katrins Blick auf die Wand in Rainerts Flur, deren weißer Rauputz ordentlich und sauber aussah. An dieser Wand, von Rainerts schmalen Schultern halb verdeckt, hing eine Fotografie, die eindeutig Emma Schmid zeigte. Sie saß aufrecht auf einem Stuhl und blickte direkt in die Kamera. Ihr kleiner Mund lächelte gequält und ihre tränenlosen Augen weinten. Die Fotografie rührte Katrin zu Tränen. Das Wissen um ihren baldigen Tod, nein, eher noch die Sehnsucht danach, stand der kleinen Emma ins Gesicht geschrieben.
Dieses Bild zeigte kein kleines Mädchen mehr. Es zeigte eine uralte Frau mit den Erfahrungen eines hundertjährigen, leidvollen Lebens im Körper eines Kindes. Das einzige Mal, dass sie so desillusionierte Augen gesehen hatte, war auf Fotografien gewesen, die sie bei einem Schulausflug nach Dachau angeschaut
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