Fünf Tanten und ein Halleluja
sich im Hotel treffen, um zusammen ins Restaurant zu gehen. Er war überzeugt gewesen, bis dahin nichts mehr von ihnen zu hören. Tante Claire bewies wirklich ein schlechtes Timing, er hatte jetzt ganz andere Sachen im Kopf.
»Ja, genau. Hör zu, Toni, ich wollte nur fragen, ob du uns ⦠also, ob du jetzt vielleicht ⦠ich meine, wegen heute Nachmittag â¦Â«
Der Streit am Kaffeetisch. Hatte Tante Ebba sie vorgeschickt, weil er und Tante Claire sich früher so gut verstanden hatten? Lieà Tante Ebba wieder andere für sich zu Kreuze kriechen?
»Bist du böse mit uns?«, fragte Tante Claire. »Wir waren wohl alle ein bisschen erschlagen von der langen Fahrt.«
Toni schielte zu seinem Monitor. Die Mail von seiner Agentin war noch immer nicht gekommen.
»Nein, alles halb so schlimm«, sagte er vage.
»Wirklich?«
»Natürlich. Ich freu mich doch, dass ihr da seid.«
Stille am anderen Ende. Dann sagte Tante Claire: »Das war mal anders zwischen uns, oder?«
Da war etwas in ihrer Stimme, das ihn innehalten lieÃ.
»Ich weià auch nicht, Tante Claire«, sagte er. »Es ist viel Zeit vergangen.« Etwas unbeholfen fügte er hinzu: »Vielleicht müssen wir uns erst wieder aneinander gewöhnen.«
»Vergiss einfach, was Tante Ebba gesagt hat. Sie wollte dir nur helfen. Du kennst sie doch.«
»Ich kann nicht nach Oldenburg, Tante Claire.«
»Das weià ich doch. Das verlangt ja auch keiner von dir. Ebba redet, bevor sie nachdenkt. Das war schon immer so. Ich weià gar nicht, warum dich das überhaupt noch immer so wütend macht.«
»Versprichst du mir, dass du etwas für dich behältst, Tante Claire? So wie früher?«
»Natürlich. So wie früher.«
»Ich habe gar kein Engagement an einem Theater hier. Nicht einmal ein schlecht bezahltes. Ich habe das nur erfunden, weil ⦠ach, ich weià auch nicht.«
»Und was ist mit den Fernsehrollen? Du arbeitest doch fürs Fernsehen, oder?«
»Schon. Aber das waren nur ein Werbeclip und zwei Tagesrollen in Soap Operas. Im ganzen letzten Jahr. Ehrlich gesagt, steh ich ziemlich mit dem Arsch an der Wand. Deshalb hat mich das so wütend gemacht. Weil Tante Ebba recht hatte. Es wäre wirklich das Beste, wenn ich Berlin verlasse.«
Tante Claire schien eine Weile nachzudenken. Dann fragte sie leise: »War es denn so schlimm in Bad Rüdensee?«
Bad Rüdensee. Sein Debütantenengagement. Das Kurtheater hatte ihn mit einem Zweijahresvertrag direkt von der Schauspielschule geholt. Natürlich war es Toni damals schwergefallen, Berlin zu verlassen. Das GroÃstadtleben, die Klubs und Partys, seine Freunde. Trotzdem hatte er sich auf das Theater gefreut, auf sein erstes wirkliches Engagement.
»Es war schrecklich.« Toni wurde überflutet von Erinnerungen. »Bad Rüdensee war wie ein stinkender Morast, in dem ich langsam versunken bin.«
Ein kleines Ensemble von abgehalfterten, frustrierten und alkoholkranken Schauspielern, mitten in der Provinz, wo es keine Fluchtmöglichkeit für ihn gab, und mit Arbeitszeiten, die es unmöglich machten, irgendwelche Menschen auÃerhalb des Ensembles kennenzulernen. Dazu ein Haufen grottenschlechter Regisseure und â was das Schlimmste daran war â mittendrin die eine geniale Regisseurin, die groÃartige Stücke auf die Bühne brachte, ohne dafür in irgendeiner Form beachtet zu werden. Rezensionen in der Lokalpresse, die sich lasen wie die Berichterstattung vom Schützenfest. Meist drückte diese Regisseurin ihrer Assistentin schon morgens zehn Euro in die Hand, damit sie loslief und ihr eine Flasche Mariacron holte. Denn anders, so Tonis Verdacht, konnte sie ihr Umfeld gar nicht ertragen. Tagsüber dann das Kindertheater, wo Toni dreimal hintereinander den Prinzen in Rapunzel spielte und immer wieder ratlos im Bühnenlicht stand und sich fragte: Hab ich das jetzt schon gesagt? Oder kommt mir das nur so vor, weil wir das heute schon zweimal gespielt haben? Dazu die immer gleichen Kinderlieder, die er irgendwann selbst im Schlaf vor sich hin sang.
Abends folgten dann die Hauptvorstellungen, und wenn der Vorhang fiel, wurden überall in Bad Rüdensee die Bürgersteige hochgeklappt, und Toni, der wie seine Kollegen hellwach und aufgekratzt war und längst noch nicht ins Bett gehen konnte, saà mit dem ganzen deprimierenden Ensemble in
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