Fünf Tanten und ein Halleluja
Henrik, der hinter Claire auf dem Bürgersteig stand, und sie beäugte ihn von oben bis unten. Selbst Claire musste zugeben, dass er ein bisschen wie ein Penner aussah. Und Henrik wirkte plötzlich, als würde er am liebsten abhauen.
»Ist das dein Neffe?«, fragte Helene Bruns abfällig und machte dabei ein Gesicht, als könnte sie sich schon denken, welche Art Probleme es mit ihm gegeben hatte.
Claire reckte stolz ihr Kinn. »Nein, das ist ein Freund von mir.« Sie hakte sich bei ihm unter. »Henrik, das ist Helene Bruns. Helene, das ist ⦠Jetzt weià ich gar nicht, wie du weiter heiÃt.«
Er grinste. »Schumann.«
»Helene, das ist Henrik Schumann.«
Falls Helene Bruns sich bemühte, Contenance zu wahren, so sah man es ihr nicht an. Sie stolperte zurück, als hätte Claire ihr mitgeteilt, von einer ansteckenden Krankheit befallen zu sein.
»Wie auch immer. Ich kümmere mich mal um die anderen.«
Und dann war sie verschwunden.
»Meine Güte.« Henrik lachte. »Wird sie sich jetzt nicht das Maul über dich zerreiÃen?«
»Das kann sie gerne tun.« Claire sah sich um. »Wo bleiben denn nur die anderen?«
»Die kommen bestimmt gleich. Es ist ja noch genügend Zeit, bis es losgeht.«
Claire seufzte. »Dann heiÃt es für uns jetzt wohl Abschied nehmen.«
Henrik lächelte und zeigte ein letztes Mal seine süÃe Zahnlücke.
»Danke für alles«, sagte Claire. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Er verbeugte sich tief. »War mir eine Ehre.« Dann legte er seine Hand an ihre Wange und wurde ernst. »Leb wohl, Claire.«
»Ja. Leb wohl. Es war schön mit dir.«
Der Abschied galt nicht nur ihm. Er galt auch Rainer, und Claire sah Henrik an, dass er das begriffen hatte.
Sie blickte ihm nach, bis er sich mit seinem Wagen in den Stadtverkehr eingefädelt hatte. Dann wischte sie sich eine einzelne letzte Träne aus dem Auge.
»Ihre Koffer sind verstaut«, sagte der Busfahrer.
»Oh, wirklich? Danke sehr!«
Ein Schwung weiterer Landfrauen kam aus der U-Bahn. Claire hielt nach ihren Schwestern Ausschau, doch sie waren nirgends zu sehen. Aber das musste nichts bedeuten, es war noch genügend Zeit.
Nicht mehr lange, dann würden sie Berlin den Rücken kehren. Und wie es aussah, würde Claire nie mehr zurückkommen.
Helga und Kamilla stiegen am Bahnhof Zoo aus der U-Bahn. Die Stimmung war gedrückt. Sie fühlten sich schuldig, weil die Versöhnung mit Toni nun endgültig in die Hose gegangen war. Hätten sie doch geschwiegen. Hätten sie nur Curt aus dem Spiel gelassen.
Helga trat auf den Bahnsteig und blickte sich um. Irgendwie sah alles anders aus als beim letzten Mal. Kamilla trat neben sie. Irgendetwas schien sie zusätzlich zu bedrücken. Etwas ganz Handfestes.
»Helga â¦Â«
»Was ist los?«
»Ich ⦠ich muss mal.«
»Jetzt?«
»Ja, ganz dringend.«
»Aber â¦Â«
»Ich weiÃ, ich hätte nicht so viel Kaffee trinken dürfen. Es tut mir auch schrecklich leid, aber jetzt ist es zu spät. Und ich kannâs kaum noch zurückhalten.«
»Aber wo willst du denn hin?«
»Das weià ich eben nicht. Vielleicht kann ich ja im Bus, jetzt ist die Toilette bestimmt frisch geputzt. AuÃerdem komme ich an mein Desinfektionsset ran, solange der Bus noch nicht losgefahren ist.«
»Also gut. Das schaffen wir, Kamilla. Wir sind gleich da.«
Helga versuchte sich zu orientieren. »Hier lang«, sagte sie und deutete auf einen Aufgang. »Das müsste er sein.«
Kamilla tippelte hinter ihr her, sie stiegen die Treppe hinauf â und landeten in der Bahnhofshalle. Ein quirliges Durcheinander. Bars, Zeitungsläden, Uniformierte, Reisende, Leuchtreklamen.
»Nein, das ist es nicht«, sagte Kamilla. »Wir müssen irgendwo drauÃen auf der StraÃe rauskommen.«
Helga wusste auch nicht weiter.
»Und wenn wir von hier aus auf die StraÃe gehen?«
»Dann verlaufen wir uns nur«, meinte Kamilla. »Besser, wir gehen wieder runter und nehmen einen anderen Aufgang.«
So wurde es gemacht. Kamillas Schritte wurden dabei immer kleiner. Es sah aus, als ginge sie auf Eiern.
»Helga, ich muss !«
»Kamilla, halt durch. Da vorne. Der Aufgang sieht doch so aus wie beim letzten Mal, oder?«
Sie blickte sich um.
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