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Fünf

Fünf

Titel: Fünf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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um sich keine Nachlässigkeit vorwerfen zu müssen, beugte Beatrice sich zum Beifahrerfenster hinunter. Die matte Straßenbeleuchtung fiel auf zwei leere, zusammengequetschte Wasserflaschen, eine Zeitung und … eine Tasche.
    Sie verengte ihre Augen, um besser sehen zu können. Also doch. Natürlich war es noch kein Beweis, sie mussten erst das Auto aufbrechen und –
    «Das ist schön. Ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen.»
    Sie kam nicht mehr dazu, sich nach der Stimme umzudrehen. Ein Schlag gegen ihren Hals, ein scharfer, brennender Schmerz, und die Welt verschwand in einem rasenden Wirbel, einem Strudel, der sie hinabzog ins Nichts.
     
    Schläge auf den ganzen Körper. Beine, Rücken, Hintern. Wie durch Watte. Nur nicht auf den Kopf. Dann wieder Leere.
     
    Auftauchen. Die Zeit ist verschwunden. Die Augen öffnen … klappt nicht. Finsterns. Wegdämmern.
     
    Ihr Atem ging langsam und schwer. Er war das Erste, was sie bewusst wieder wahrnahm, und es erfüllte sie mit vager Dankbarkeit, noch am Leben zu sein. Sie versuchte zu begreifen, was passiert war, wollte sich erinnern, doch die Gedanken entglitten ihrem Kopf wie nasse Seife den Fingern.
    Wenigstens gehorchte ihr Körper. Sie krümmte die Zehen, hustete. Wollte sich an die Stirn fassen, doch die Hand blieb an ihrem Platz. Beatrice öffnete die Augen.
    Sie kannte diesen Ort. Woher nur? Er gefiel ihr nicht, aber sie wusste, sie war schon einmal hier gewesen. Mit … diesem Mann. Nicht ihr Mann, ein anderer – Florin.
    Als wäre sein Name das Passwort zu ihrem Gedächtnis gewesen, strömten die Erinnerungen zurück, nicht geordnet, sondern in einem flutartigen Schwall. Sie schluckte schwer und ignorierte bewusst das durchfurchte, fleckige Holz des Tisches vor ihr. Erneut versuchte sie, die Hände vor ihren Körper zu bringen.
    Es verursachte einen dumpfen Schmerz, aber es funktionierte nicht. Gefesselt, dachte sie und sah die Frau auf der Kuhweide vor ihrem inneren Auge, die Kabelbinder um ihre Gelenke. Nur ihr Name war noch nicht wieder verfügbar. Alles war verschwommen und unklar, als schwebte sie in trübem Wasser – dabei saß sie. Auf einem Stuhl, und die Hände waren … hinter ihr.
    Nora Papenberg, fiel ihr endlich ein. Genau. Das war ihr Name gewesen.
    Sie schloss die Augen in dem Bemühen, sich in ihrem Kopf wieder zurechtzufinden. Jetzt brachen auch die Schmerzen aus dem dicht isolierten Raum aus, in dem sie bisher gewartet hatten. Sie bissen sich an ihrem Rücken fest. An der Hüfte. Den Handgelenken. Beatrice spannte die Schultermuskeln an. Es war auszuhalten. Ein geringer Preis für einen klaren Kopf. Sie lauschte.
    Jemand war hier. Leise Schritte im Hintergrund, ein Rascheln. Wenn sie den Oberkörper ein Stück drehen würde, könnte sie ihn sehen. Doch dafür war es zu früh, erst musste sie wieder völlig bei sich sein. Falls er ihr so viel Zeit zugestehen würde.
    «Guten Abend», sagte eine Stimme hinter ihr. Leise und höflich.
    Also hatte sie recht gehabt.
    «Guten Abend, Herr Sigart.» Sie wartete darauf, dass er hervorkommen und sich ihr gegenüber an den Tisch setzen würde, aber er rührte sich nicht. Keine Schritte auf dem Steinboden.
    Sie versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was sich hinter ihrem Rücken befand. Die Schlinge, die von der Decke hing. Nora Papenbergs Schuhe, rot wie das Bild in Florins Atelier, wie das Blut auf Evelyns Schlafzimmerboden. Ein Haufen zu krustigen Schlingen getrocknetes Verbandsmaterial.
    Nein, natürlich nicht. Das alles hatte die Spurensicherung mitgenommen.
    Die Säge war ebenfalls verschwunden, aber Tisch und Stühle hatte Drasche hiergelassen, da und dort noch bedeckt mit Spurensicherungspulver. Am Boden, am Fuß der Treppe, lag etwas Neues: die Arzttasche, die Beatrice auf dem Beifahrersitz des Honda Civic entdeckt hatte.
    «Wie fühlen Sie sich?» Sigart fragte wie ein Chirurg, so als hätte er sie vor kurzem operiert.
    Beatrice beschloss, auf ihn einzugehen. Sie musste nur ihre Fesseln loswerden, dann war sie ihm körperlich überlegen. Er war geschwächt, seine linke Hand konnte er keinesfalls einsetzen.
    «Es geht mir einigermaßen», antwortete sie. «Noch etwas schwammig im Kopf. Und meine Hüfte fühlt sich geprellt an.»
    «Ja, das war leider unvermeidlich.» Endlich trat Sigart zur Seite, so weit, dass sie ihn sehen konnte. Er war immer noch blass, stand aber aufrechter, als sie es bisher von ihm kannte. Seine linke Hand war bandagiert, der Verband reichte bis zum Ellenbogen.

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