Fünf
haben bei dem Agenturessen neben Nora Papenberg gesessen. Erzählen Sie mir bitte alles, was Ihnen aufgefallen ist, ab dem Zeitpunkt, an dem Noras Handy geläutet hat.»
Grabner senkte den Kopf und wischte sich mit einer perfekt manikürten Hand eine Träne aus dem Augenwinkel. «Wir hatten so viel Spaß zuerst», sagte sie. «Nora war richtig gut gelaunt, sie war auch maßgeblich verantwortlich dafür, dass wir den Etat gewonnen haben. Es war eigentlich ihr Abend. Aber als dann der Anruf kam – sie kicherte noch, sagte, das sei sicher Konrad, der sie bitten würde, ihm etwas von den Desserts in der Handtasche rauszuschmuggeln.» Irene Grabner brach ab, blickte zur Seite. «Wir waren ganz gut befreundet, wissen Sie? Ich bin … ich verstehe nicht, wie …»
Stefan nickte. «Lassen Sie sich ruhig Zeit.» Er hatte seine Stimme ein paar Töne tiefer gelegt. Beatrice musste lächeln.
«Also, das Handy läutete, und Beatrice sah die Nummer auf dem Display.
Das ist nicht Konrad
, sagte sie noch, ging aber ran und meldete sich mit einem irgendwie schlüpfrigen Satz. Ich weiß nicht mehr genau, was es war. So etwas wie
Wer mich beim Feiern stört, sollte besser männlich, jung und knackig sein
.» Grabner atmete tief durch. «Dann hörte Nora auf zu lächeln, stand auf und ging in eine weit entfernte Ecke des Restaurants. Ich bekam von dem Gespräch überhaupt nichts mit, habe nur ihren Rücken gesehen.»
«Waren dort, wo sie telefoniert hat, andere Leute?», warf Beatrice ein. «Die vielleicht etwas gehört haben könnten?»
Kopfschütteln. «Nein. Ich denke, sie hat sich extra einen Platz gesucht, wo sie einigermaßen ungestört war.»
«Und danach?»
«Ich habe sie gefragt, wer das war, und sie sagte nur: ‹Kennst du nicht.› Und dass es nichts Wichtiges gewesen sei. Aber ihre gute Laune war dahin. Sie ist dann auch bald gegangen, und ich wünschte, ich hätte sie begleitet. Aber ich wusste ja nicht …»
Grabners Stimme versiegte. Beatrice hätte sie am liebsten umarmt, ihr gesagt, wie gut sie verstand, was in ihr vorging. Hätte ihr gern geraten, das Wort
Wenn
aus ihrem Kopf zu verbannen.
Wenn ich mitgegangen wäre.
Wenn ich sie nach Hause gebracht hätte.
Wenn …
Beatrice bohrte sich die Fingernägel in die Handflächen. Ihre eigenen Probleme hatten in diesem Fall nicht das Geringste zu suchen. Sie lächelte die Frau an und ließ ihr noch ein wenig Zeit, sich zu fangen. «Als Nora ging», hakte sie dann nach, «sagte sie da, sie würde nach Hause fahren? Oder hatte sie noch etwas anderes vor?»
«Nach Hause. Ganz sicher. Ihre Kopfschmerzen waren wieder da, und sie wollte ins Bett. Ich erinnere mich, dass Herr Winstatt ihr noch angeboten hat, auf Firmenkosten ein Taxi zu nehmen, aber sie sagte, es würde schon gehen. Die Migräne sei erst im Anmarsch, und sie wolle den Wagen nicht stehenlassen. Das war typisch für sie, es hätte keinen Sinn gehabt, ihr dreinzureden.»
«Können Sie abschätzen, wie viel Nora getrunken hatte?»
Irene Grabner betrachtete ihre ineinander verschränkten Hände auf der Tischplatte. «Nicht genau. Aber sie war nicht betrunken, falls Sie das meinen. Sie war ja mit dem Auto gekommen und hat sich zurückgehalten.»
Die Befragungen der restlichen Agenturmitarbeiter brachten nichts Neues zutage. Keiner hatte Papenbergs verfrühtem Aufbruch große Bedeutung beigemessen. Sie waren angemessen betroffen, aber auch nicht mehr als das. Die Handyfotos, die der Accountmanager geschossen hatte, zeigten nichts, was nicht auch auf Rosa Drabceks Bildern zu sehen gewesen war, trotzdem überspielte Stefan sie ebenfalls auf sein Notebook.
Bevor sie sich verabschiedeten, nahmen sie Noras Schreibtisch in Augenschein.
Chaos mit System. Beatrices eigener Arbeitsplatz sah so ähnlich aus, wenn sie in einen Fall vertieft war. Dann bildeten die scheinbar zufällig verteilten Unterlagen auf der Schreibtischplatte ein assoziatives Netz, das sich vor ihren Augen spann, sie kommunizierten, verbanden sich, streckten unsichtbare Tentakel nacheinander aus.
Möglicherweise hatte auch Nora Papenberg so gearbeitet, wenn sie eine Werbekampagne entwarf. Noch eine Parallele stach Beatrice ins Auge: die gelben Post-its am Bildschirm des PC , nur dass sie hier nicht vom Chef stammten, sondern von Nora selbst. Wieder diese Schrift, nun schon fast vertraut.
Jacke aus der Reinigung holen!!!
stand auf einem der Zettel. Auf die beiden anderen waren Telefonnummern mit den dazugehörigen Namen
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