Fünf
sich.
«Einen Schluck Sekt?», rief Florin. Er stand in der offenen Küche und hielt eine Flasche hoch. «Wir sind außer Dienst. Wir dürfen.»
«Ich muss aber noch fahren. Ein halbes Glas, höchstens.»
«In Ordnung.»
Er kam mit zwei filigranen Sektflöten in der Hand zu ihr und überreichte ihr die nur zur Hälfte gefüllte. «Auf nüchternen Magen wird der trotzdem schnell wirken. Weißt du schon, was du essen möchtest?»
«Ja. Roastbeef. Bitte.»
«Mit Avocado-Limetten-Soße?»
Ihr hätte klar sein müssen, dass Florin nicht Remoulade dazu reichen würde, wie normale Menschen das taten. «Klingt hervorragend.»
Während er wieder in der Küche hantierte, checkte sie ihr Handy. Nichts, immer noch nicht. Im Moment war ihr das sehr recht.
«Hast du gerade ein Bild in Arbeit?», rief sie zu ihm hinüber.
«Ja. Zwei. Komme aber mit beiden nicht weiter. Kein Funken Leben drin.» Tellerklappern. «Möchtest du sie sehen? Geh ruhig hinauf.»
Sein Atelier bestand aus einer chaotischen Ecke mit Oberlicht, eine Etage höher, mit zwei Staffeleien, einem mit Farbe bekleckerten Holztisch und einer Ansammlung leerer Leinwände in diversen Größen. Es roch nach Farbe und Lösungsmittel.
«Was hältst du von Musik?», drang Florins Stimme von unten herauf.
«Sehr gerne.»
«Spezielle Wünsche?»
Sie überlegte einen Moment lang. «Das, was gerade im Player liegt.»
Was du auflegst, wenn du allein hier bist, malst, liest, an Anneke denkst
.
«In Ordnung.»
Es war nicht mehr Erik Satie, den sie beim letzten Mal durchs Telefon gehört hatte. Es war Schuberts Streichquintett in C-Dur, der zweite Satz. Musik, die sich direkt ins Innerste grub, zu der Beatrice nur einen einzigen falschen Gedanken würde fassen müssen, um in Tränen auszubrechen.
Sie trank ihr Glas in einem Zug leer und stellte sich vor die erste Staffelei.
Rot, hell in der Mitte, dunkel an den Rändern. Silberne Schlieren zogen sich über die linke Ecke, wie etwas, das gesplittert war. Der Anblick löste etwas in ihr aus, dem sie sich jetzt keinesfalls stellen wollte. Sie trat zur Seite und nahm sich die zweite Staffelei vor.
Ein quadratisches Bild, der erste Eindruck vermittelte eine Unendlichkeit von Blau. Zur Mitte hin verdunkelte sich die Farbe beinahe zu Schwarz, metallische Sprenkel flogen durch diese Finsternis, als hätte jemand in eine Pfütze aus geschmolzenem Kupfer geschlagen. Das Bild war wie dieser Abend. Ein Funkeln in der Dunkelheit.
«Nicht besonders gut, oder?», hörte sie Florin fragen.
«Doch. Tut mir leid, aber ich …» Ich liebe es, hatte sie sagen wollen, verbiss es sich jedoch im letzten Moment. «Ich finde es schön. Stark – und abgründig, mit einem Schimmer von Hoffnung.»
Florin war die Treppe hochgekommen und stellte sich mit schiefgelegtem Kopf neben Beatrice. «Wirklich? Hm. Ich glaube, ich muss mir eine neue Sicht darauf verschaffen. Aber nicht heute.» Er drehte die Leinwand um neunzig Grad. «So könnte etwas daraus werden. Und jetzt komm.» Beatrice spürte seinen Arm um ihre Schultern und den leichten Druck, mit dem er sie zur Treppe zog. «Ich verhungere.»
Es war lange her, dass sie mit Genuss gegessen hatte, ohne dabei gleichzeitig auf den Computer zu starren oder ihre Kinder zu bändigen. Das Roastbeef war zart, genau in der richtigen Stärke geschnitten, und Florin hatte Weißbrot dazu aufgebacken. Weil Beatrice nicht die geringste Lust hatte, sich diesen Genuss auch nur im Mindesten schmälern zu lassen, trank sie ein weiteres Glas Prosecco und fühlte, wie er ihr den Kopf leicht machte.
«Warum tust du das?» Die Frage rutschte ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte.
«Was genau tue ich?»
«Mich nach Feierabend noch einladen. Du müsstest eigentlich froh sein, mich mal nicht vor der Nase zu haben.»
Er hob die Augenbrauen. «Ich hab dich gern vor der Nase, wie du es so treffend ausdrückst. Und –» Er unterbrach sich, schüttelte den Kopf und schenkte ihnen beiden nach.
«Sprich weiter.»
«Nein. Könnte sein, dass du es in den falschen Hals bekommst. Es ist geradezu eine Einladung für ein lang anhaltendes Missverständnis.»
Sie versuchte im Geiste eine Frage zu formulieren, die ihn dazu bringen würde, deutlicher zu werden, aber er schüttelte schon lächelnd den Kopf, bevor sie überhaupt zu einer Erwiderung ansetzen konnte. «Falscher Tag, falsche Uhrzeit, falsche Stimmung.»
Beatrice stellte ihr Glas auf den Tisch und fühlte mit einem Schlag, wie müde sie war.
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