Fünf
geschlagen.» Drasche bedachte Beatrice mit einem Blick, als trüge sie persönlich die Verantwortung dafür. «Die Wohnung war nicht der Tatort, so viel steht schon mal fest.»
«Habt ihr Fingerabdrücke gefunden? Die Buchstaben auf dem Fernsehbildschirm sind sehr wahrscheinlich vom Täter.»
«Der Handschuhe getragen hat, wieder mal.» Er hob seine Kaffeetasse an die Lippen, schlürfte und verzog das Gesicht. «Die Abdrücke, die bisher ausgewertet sind, stammen vom Opfer. Von dem wir ja glücklicherweise sämtliche Finger zur Verfügung haben, zwecks Vergleich.» Er lachte. «Das Auto bringt auch nichts Neues. Haare, vermutlich die von Beils Frau. Außer der Täter trägt seine Frisur blond und schulterlang – Scheiße noch mal!» Bei der pantomimischen Andeutung der Haarlänge hatte sich Drasche Kaffee über sein Hemd geschüttet. «Und? Hattet ihr wenigstens einen schönen Abend?»
Beatrice spürte, wie sie rot wurde. Natürlich wusste Drasche nichts von ihrer Übernachtung – ihrer gänzlich
unschuldigen
Übernachtung – bei Florin. Jeder war in seinem eigenen Auto zur Arbeit gefahren. Dennoch fühlte sie sich ertappt.
«Brauchst kein beleidigtes Gesicht ziehen, ich weiß, dass ihr auch hart arbeitet.»
Beleidigt, aha. Lächelnd schüttelte Beatrice den Kopf. Bei der Spurensicherung war Drasche hervorragend aufgehoben, dachte sie. Als Psychologe wäre er fehl am Platz gewesen.
Sie war kaum aus dem Zimmer, als sie – passend zu ihrem letzten Gedanken – Kossar entdeckte, der vor der Tür zu ihrem Büro wartete. Sie seufzte innerlich und bat ihn herein.
«Ich hatte eine hochinteressante Nacht», begann er. «Wo ist Wenninger? Ich denke, ihn wird das auch interessieren. In fact, I’m sure.»
«Florin ist bei Hoffmann, er kommt sicher bald. Fangen wir doch schon mal an. Wollen Sie einen Kaffee?»
Er wollte. Während Beatrice mit der Maschine hantierte, schlenderte er durchs Zimmer und sah sich alles an, als überlege er, etwas davon zu kaufen.
Erst als sie sich setzte, zog sich auch Kossar einen Stuhl heran. «Ich habe natürlich noch kein endgültiges Täterprofil erstellt», begann er. «Ich werde so viele ähnlich gelagerte Fälle wie möglich studieren müssen, um eine fundierte Aussage treffen zu können. Einen ersten Eindruck habe ich aber gewonnen, und der müsste meiner Ansicht nach einer Überprüfung standhalten.» Er sah Beatrice erwartungsvoll an.
«Ja?», fragte sie irritiert. «Sprechen Sie ruhig weiter.»
«In Ordnung. Wovon wir ausgehen können, ist, dass wir es mit einem planenden Täter zu tun haben, nicht mit einem unkontrolliert handelnden. Er tötet seine Opfer nicht nur, sondern befriedigt darüber hinaus noch andere Bedürfnisse, wobei mir vor allem eines ins Auge fällt: dass er sich nämlich mitteilen möchte. Er schickt uns über die Ermordeten seine Botschaften – die tätowierten Koordinaten bei Nora Papenberg, die Schriftstücke in den Caches und nicht zuletzt die Leichenteile. Er zwingt uns, ihm zuzuhören und uns mit dem, was er uns mitteilt, auseinanderzusetzen.»
Das war nichts Neues. «Sie denken also, sein hauptsächliches Motiv besteht darin, dass er Aufmerksamkeit möchte?»
«Auf jeden Fall. Zudem will er sich mit uns messen, sich beweisen, das geht ganz klar aus den Botschaften hervor, die er schickt.»
«Ich finde, daraus geht vor allem hervor, dass er uns nicht ernst nimmt. Wieso will er sich mit jemandem messen, den er für unfähig hält?»
Kossar rückte seine Brille zurecht. «Well, waren Sie schon einmal bei einem Boxkampf? Bevor es losgeht, werfen die Gegner sich oft Beschimpfungen an den Kopf, sie provozieren einander. Damit motivieren sie sich selbst und versuchen, den anderen wütend zu machen, denn dann begeht er vielleicht Fehler.» Er nippte an seinem Kaffee. «Ich vermute, dass der Täter starke narzisstische Züge aufweist. Er genießt es, sich auszumalen, wie die Polizei versucht, die Teilchen zusammenzusetzen, die er ihr vor die Füße wirft. Am liebsten wäre er dabei, während wir Theorien entwerfen und uns die Haare raufen, weil nichts einen Sinn ergibt.»
Florin war hereingekommen, mitten in Kossars letztem Satz. «Ist das so?», fragte er. «Ergeben die Unterlagen für Sie keinen Sinn?»
«Doch. Aber im Moment werfen sie nur Schlaglichter auf einzelne Aspekte in der Psyche des Täters.»
«Welche zum Beispiel?»
Nachdenklich betrachtete Kossar seine Hände. «Normalerweise würde ich bei einem Menschen, der so agiert,
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