Fünf
aufhält.»
«Was?»
«Ihr Mann. Wissen Sie, wo er ist?»
«Ja. Im Badezimmer, er rasiert sich. Wollen Sie ihn sprechen?»
«Nein, danke, in diesem Fall ist alles in Ordnung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!» Sie wartete die Antwort der Frau nicht mehr ab, sondern legte einfach auf. Zwei Nummern noch, wenn keine von beiden ein Ergebnis brachte, würde sie doch das Melderegister brauchen. Wahrscheinlich war es klug, auch in den umliegenden Bundesländern nach Graciellas zu suchen, eventuell sogar in Bayern.
«Ja bitte, wer spricht?» Die Stimme der Frau war rau und fröhlich, sie rollte ihr R knapp hinter den Zähnen.
«Beatrice Kaspary, Kriminalpolizei.»
«Oh.»
«Sind Sie Graciella Estermann?»
«Ja, aber …»
«Können Sie mir sagen, wo Ihr Mann sich gerade aufhält?»
Im Hintergrund hörte Beatrice Kinderstimmen, dann ein dumpfes Rascheln, als die Frau das Mikrophon ihres Handys abdeckte. Wenige Sekunden später war der Ton wieder klar und der Lärm verstummt.
«Was brauchen Sie denn von meinem Mann?» Die Frage klang nicht unfreundlich, aber vorsichtig.
«Nichts Spezielles, ich müsste nur wissen, wo er sich befindet.»
«Das kann ich Ihnen nicht so genau sagen. Er ist seit einer Woche unterwegs, Außendienst.»
Beatrice wurde heiß. «Wann hat er sich das letzte Mal bei Ihnen gemeldet?»
Graciella Estermann ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. «Samstag – oder Sonntag. Nein, Samstag. Sagen Sie mir bitte, worum es geht?»
Beatrice ging über den letzten Satz hinweg. «Und seit vier Tagen kein Lebenszeichen? Ist das nicht ungewöhnlich?»
«Nein.» Diesmal kam die Antwort prompt. «So ist es oft, er meldet sich nur, wenn es einen Grund gibt. Jetzt will ich aber wissen, was los ist!»
«Selbstverständlich. Wenn es Ihnen recht ist, komme ich mit meinem Kollegen vorbei. Passt es Ihnen in einer Stunde?»
«Sie wollen herkommen?» Erstmals schwang etwas wie Unruhe im Ton der Frau mit. «Er hat wieder Ärger, stimmt’s? Aber ich weiß nichts davon, ich sehe ihn ja fast nie.»
Es gab noch keinerlei Beweis dafür, dass Beatrice wirklich mit der Frau des Opfers sprach, doch das Gefühl innerer Gewissheit wuchs. «Es kommt Ihnen wahrscheinlich seltsam vor», sagte sie, «aber können Sie mir sagen, wann Sie und Ihr Mann geheiratet haben?»
Die wortlose Verblüffung bei ihrer Gesprächspartnerin dauerte weniger lang als erwartet. «Das war … im Juni 2001 . Am neunzehnten Juni.»
«Danke. In einer Stunde sind wir bei Ihnen, bitte warten Sie auf uns.» Beatrice legte auf.
Estermann Salzburg
gab sie in das Textfeld von Google ein. Sie fand einen Walter und einen Rudolf.
Rudolf Estermann verkaufte pflanzliche Schlankheitstropfen und figurformende Hautlotionen an Apotheken im ganzen Land. Außendienst. Bingo.
Darüber hinaus betrieb er offenbar einen kleinen Versandhandel über das Internet.
Fünf Kilo in zehn Tagen!!!
, versprach die knallrote Schrift auf der Startseite. Was für ein Schwachsinn.
Sie schob ihren Stuhl zurück. Florin war im Haus unterwegs, sie fand ihn bei Stefan, mit dem er die Daten aus Liebschers Computer durchging.
«Auf den ersten Blick nur banales Zeug», seufzte Florin. «Stefan hat schon die letzten drei Monate Mailverkehr gelesen, aber nichts gefunden. Keine Verbindung zu Beil, Papenberg oder Sigart.»
«Dafür habe ich etwas.» Beatrice hielt den Ausdruck mit den Telefonnummern hoch. «Zu neunundneunzig Prozent heißt der unbekannte Tote Rudolf Estermann, ist Vertreter für dubiose Schlankheitspräparate und …»
Sie stockte. Schrieb es ihrer Erschöpfung zu, dass ihr der Zusammenhang erst jetzt auffiel.
«Bea?»
Sie war schon aus der Tür, lief den Gang entlang und überlegte fieberhaft, wie sie am schnellsten an die nötige Information kommen würde.
«Dinge, die keiner braucht», flüsterte sie und tippte
Felix Estermann
ins Textfeld der Suchmaschine.
Felix war neun und Mitglied in der Judoschule der Sportunion. Beim letzten Clubturnier hatte er den dritten Platz in seiner Altersgruppe gemacht. Beatrice klickte das Fotoalbum des Vereins an, und auf dem vierten Foto fand sie ihn. Ein schmales Kind mit dunklem Haar, gebräunter Haut und einem strahlenden Lächeln.
V.l.n.r.: Felix Estermann (
9
), Robert Heiss (
9
), Samuel Hirzer (
10
)
, lautete der Bildtext.
«Er hat zwei Söhne, einer heißt Felix.»
«Wie bitte?»
Beatrice fuhr herum. Himmel, warum musste Florin sich immer so anschleichen?
«Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, ich
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