Fünf
Tote sein könnte?»
«Nein. Es gibt keine neuen Vermisstenmeldungen, nichts. Aber er war verheiratet. Drasche hat seinen Ehering sichergestellt.» Stefan zog die Schultern hoch. «Muss ein schauderhafter Tod gewesen sein, Vogt sagt, ihm ist so etwas bisher noch nie untergekommen.»
Die drei Männer kletterten nun einer nach dem anderen die Böschung hinauf, während sich einige uniformierte Kollegen bereit machten, den Leichnam nach oben zu holen. Drasche stieg als Erster über das Mäuerchen, er hielt Beatrice einen Plastikbeutel vors Gesicht. Der Ehering.
«Graciella, 19 . 6 . 2001 », sagte er. «Die trauernde Witwe.»
Sie notierte sich die Angaben, der seltene Name war ein Geschenk, das ihnen die Arbeit leichter machen würde.
«Hallo, Bea.» Im Licht der Scheinwerfer wirkte Florin fast ebenso blass wie der Tote. Er nahm die von Drasche angebotene Zigarette, eine absolute Premiere.
«Bei der Obduktion», sagte er und sog den Rauch tief ein, «werde ich dabei sein. Ich möchte wissen, wie dieser Körper innen aussieht.»
Warum, wollte Beatrice fragen, doch gerade hatten die beiden Kollegen den Mann bis an die Mauer getragen und herübergehoben. Sie legten ihn auf einer Plane im Gras ab, und Beatrice gab ihnen ein Zeichen, mit dem Zudecken noch einen Moment zu warten.
Im nächsten Augenblick bereute sie ihre Entscheidung, zwang sich aber, nicht wegzusehen.
Ein rotschwarzer Krater, der eitrige Lava gespuckt hatte, befand sich an der Stelle, wo früher das rechte Auge des Mannes gewesen sein musste. Die Lava hatte auf ihrem Weg Richtung Kinn weitere tiefe Rinnen gegraben und rohes Fleisch freigelegt.
Der Tote fletschte die Zähne, wie eine Bulldogge vor dem Zubeißen, und erst ein zweiter Blick machte Beatrice klar, dass die verzerrten Züge nicht von Zorn oder Schmerz rührten, sondern vom Fehlen der Unterlippe. Wie weggeschmolzen. Zwischen den Zähnen ragte dick die verfärbte Zunge hervor, ein übergroßer, vollgesogener Blutegel. Der Innenraum der Mundhöhle war eine braunschwarz verkrustete Wüste.
«Wie ist das passiert?», fragte sie Vogt, der neben sie getreten war.
«Mein Tipp lautet Säure, eventuell Essig- oder Flusssäure. Sehen Sie die dunklen Krusten an den Schleimhäuten? Ganz typisch dafür.»
«Sie meinen, er hat Essigsäure getrunken?»
«Trinken müssen. Genau kann ich es erst nach der Leichenöffnung sagen, aber ich denke, ich werde einen verätzten Ösophagus und einen von der Säure perforierten Magen finden, außerdem eine Mediastinitis. Mal sehen. Im Übrigen haben wir ähnliche Fesselspuren an den Händen und den Fußgelenken wie bei Christoph Beil, nur tiefer eingeschnitten. Kabelbinder, meiner Meinung nach.»
In Beatrices Erinnerung tauchte das Bild von Nora Papenberg auf, wie sie bäuchlings auf der Wiese lag, die Hände auf dem Rücken fixiert. Kabelbinder, blassweiß wie die tote Haut darunter.
Vogt nickte den Uniformierten zu, damit sie den Körper abdeckten, und diesmal protestierte Beatrice nicht. «Was ist mit dem Auge?», fragte sie.
«Gleiche Sache. Und richtig unschön, weil ante mortem.» Er sah die unausgesprochene Frage in ihrem Gesicht. «Das Lid ist durchgeätzt. Er muss versucht haben, es zuzupressen, um das Auge zu schützen. Tja.» Er ließ sie stehen und ging zu seinem Auto, wo er einen Müsliriegel aus dem Handschuhfach holte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragte eine steinerne Heiligenfigur hoch, eine Frau in langen Gewändern, die einen Turm hielt und zu Boden blickte. Florin saß zu ihren Füßen, zwischen den Fingern eine weitere Zigarette, und sah Beatrice entgegen.
«Mach keine Gewohnheit daraus», sagte sie.
«Bestimmt nicht. Anneke hasst Raucher.» Er zog noch zwei Mal heftig, dann drückte er die Zigarette neben sich im Gras aus. «Ich möchte mir Konrad Papenberg noch mal vorknöpfen. Mal sehen, ob er für heute Abend ein Alibi hat. Wer kommt noch in Frage, Beils Frau? Würde sie es schaffen, einen Kerl wie den da zu schleppen?» Er musterte Beatrice mit schiefgelegtem Kopf. «Würdest du es schaffen?»
«Nicht alleine. Außerdem …» Sie versuchte, ihre Gedanken in verständliche Worte zu fassen. «Ich glaube nicht, dass es Papenberg oder Beil sind. Auch nicht Liebschers Exfrau, das passt einfach nicht.»
«Kein Argument, das wir gelten lassen dürfen.»
«Schon klar. Aber auch keines, das wir völlig beiseiteschieben sollten. Wenn du dir die Nachrichten ansiehst, die der Owner mir schickt, kannst du dir dann
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