Für alle Fragen offen
außerordentlichen Satz nie vergessen. Ich schlage vor, ihn in die nächste Ausgabe von Büchmanns Gefl ügelten Worten aufzunehmen.
Kurz und gut: Shakespeare ist der größte Bühnenautor aller Völker und Zeiten, sinnlos
ist es, ihn gegen diesen oder jenen Dramatiker ausspielen zu wollen. Auch gegen Schiller sollten wir Shakespeare nicht ins Feld führen.
Andererseits ist es schon richtig, dass man hierzulande seit weit über hundert Jahren immer wieder entdeckt, dass die deutsche Literatur humorlos sei. Diese Behauptung lässt sich in der Tat nicht so rasch von der Hand weisen. Hatte Schiller Humor? Oder Hölderlin? Wo gibt es so humorlose Schriftsteller – um hier nur Tote zu nennen – wie Anna Seghers oder Ernst Jünger, wie Uwe Johnson oder Ingeborg Bachmann?
Dennoch wage ich zu vermuten, dass, von der englischen abgesehen, kaum eine Literatur der Welt so viel Humor hat wie die deutsche. Und dass also die gegenteilige Behauptung bloß ein Klischee ist, das von Generation zu Generation ungeprüft weitergereicht wird.
Die besten deutschen Erzähler – Jean Paul, Theodor Fontane, Thomas Mann – waren auch und vor allem Humoristen. Wo gibt es in der Weltliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts einen Erzähler, der, wenn es um den Humor geht, sich mit Thomas Mann messen könnte? Er glaubte sogar, das Humoristische sei »das Wesenselement des Epischen« – was mir nun
doch etwas übertrieben scheint und eher als treffende Charakteristik seines eigenen Werks verstanden werden sollte.
Wo gab es im neunzehnten Jahrhundert einen Lyriker, der mehr Witz und Ironie, mehr Humor gehabt hätte als Heinrich Heine, wo im zwanzigsten Jahrhundert Autoren mit mehr Pfiff und Humor als Karl Kraus und Kurt Tucholsky, als Joachim Ringelnatz und Erich Kästner? Welche Literatur könnte sich solcher Humoristen wie Wilhelm Busch rühmen oder Christian Morgenstern? Sollte ich die Frage beantworten, welche Figur des Welttheaters am meisten mit Humor gesegnet sei, ich zögerte keinen Augenblick: Nicht auf Falstaff oder ein anderes Shakespeare-Geschöpf fiele meine Wahl und auch nicht auf die doch etwas simplen Helden Molières, sie fiele auf unseren Mephisto.
Die weitaus besten komischen Opern, die ich kenne, stammen, immerhin, aus deutschen Federn: An die Meistersinger denke ich und an den Rosenkavalier . Und wie ist es mit den Komödien – haben wir wirklich nur die Minna von Barnhelm und den Zerbrochenen Krug ? Auch Christian Dietrich Grabbes Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung , auch Gerhart Hauptmanns Biberpelz sind nicht von Pappe.
Und wie wäre es mit dem verschwenderischen Ferdinand Raimund und mit Johann Nestroy, der sich einen Jux machen wollte, und wie mit dem schwierigen Hugo von Hofmannsthal? Apropos Jux und Österreich: Wenn wir von Humor reden, dann sollten wir unbedingt auch an Ernst Jandl erinnern.
Warum werden heutzutage humoristische Romane in deutscher Sprache nur sehr selten geschrieben? Weil wir in schweren Zeiten leben? Als der Don Quijote des Cervantes und Gogols Tote Seelen erschienen, hatten es die Spanier und die Russen mit Sicherheit nicht leicht. Doch waren Cervantes und Gogol Genies – und mit Genies, die ja alle Regeln sprengen, lässt sich kaum etwas beweisen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die europäischen Schriftsteller heutzutage nicht oft humoristische Romane schreiben. Der letzte große humoristische Roman in deutscher Sprache war, wenn ich mich nicht irre, Der Erwählte von Thomas Mann.
Zurück zu der Frage. In Schillers Dramen findet sich in der Tat nur wenig Humor – etwa in Kabale und Liebe oder im Wallenstein . Das mag bedauerlich sein, aber dennoch ist er einer der großen europäischen Bühnenautoren.
Können Sie mir zustimmen, dass der Faust das beste je in deutscher Sprache geschriebene Werk ist, wenn nicht sogar der beste literarische Text überhaupt?
Unsere Leser lieben Superlative. Hier sind in einer Frage sogar zwei Superlativfragen verpackt. Der Faust , das bedeutendste, das schönste Werk in deutscher Sprache? Ja, damit bin ich gern einverstanden. Aber die Behauptung, es handele sich um den besten je geschriebenen literarischen Text, gefällt mir nicht. Die Italiener halten für das wichtigste literarische Werk Dantes Göttliche Komödie . Die Griechen würden wohl die Ilias nennen oder die Odyssee , die Juden die Bibel. Die Engländer? Sie wären bestimmt für Shakespeare, wohl für den Hamlet . Von den Russen bekämen wir Krieg und Frieden zu
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