Fuer den Rest des Lebens
geärgert, als sollten sie ihr Mitleid wecken, und jetzt muss sie an dieses kleine Mädchen denken, das sich nicht zu laufen traute und Tag um Tag im Laufstall lag und die Hand auf die Augen legte, genau wie sie es nun tut. Um sie herum geht das Leben weiter, der schwere, schmutzige Verkehr fließt geräuschvoll vorbei, Menschen gehen vorüber, man grüßt sich, Wortfetzen fliegen durch die Luft, gleichgültig gegen ihre Anwesenheit, aber die Anonymität der Stadt stört sie nicht, sie wartet auf ihren Bruder, und das Warten ist, weil es nichts Forderndes hat, sehr angenehm. So hat sie darauf gewartet, dass er geboren wurde, er würde ihr gehören, mit ihr leben, und dadurch würde alles gut, und da hält ein Taxi an, und der Mann in einem zerknitterten schwarzen Anzug, der aussteigt, ist ihr einziger Bruder und sie ist seine einzige Schwester, und sie freut sich, ihn auf ihre Bank einzuladen, mehr als sie sich je gefreut hat, ihn in ihre Wohnung einzuladen, sie zieht ihre Beine zu sich und macht ihm Platz, danke, dass du gekommen bist.
Was ist passiert, fragt er, fühlst du dich nicht wohl?, und dann fügt er unnötigerweise hinzu, man hat mir das Auto gestohlen, ich habe es auf dem Parkplatz der Universität stehen gelassen und es ist geklaut worden, und sie schaut ihn erstaunt an, wie anders sieht er heute aus, magerer, und sein Gesicht zeigt einen gequälten Ausdruck, statt des Hochmuts, den es früher ausgestrahlt hat, und als er sich neben sie setzt, wirkt er geistesabwesend, seine Lippen zittern ein bisschen und er wirkt aufgewühlt, und diese Bank unter dem Eukalyptusbaum wird zu einem kleinen Floß, das verloren mitten im See auf den Wellen schaukelt.
Ich habe dir Wasser mitgebracht, sagt er, zieht eine kalte Flasche aus seiner Aktentasche, und sie hält sie an ihre Stirn, bevor sie sie langsam an die Wange drückt, und als sie schließlich trinkt, hat sie das Gefühl, noch nie im Leben etwas so Wunderbares getrunken zu haben, sie hält ihm die Flasche hin, trink auch, und als er den Hals neigt, erinnert sie die Bewegung an früher, als er, noch ein Säugling, in seinem Wagen lag und an seinem Babyfläschchen nuckelte und seine schönen, blauen Augen so konzentriert zum Himmel gerichtet waren, dass alle den Blick hoben, um herauszufinden, was es dort zu sehen gab, und auch jetzt schaut er hinauf in den Baumwipfel, der in der Nachmittagssonne brennt und über dem der weiße Himmel aufsteigt wie Rauch, aber sein Blick kehrt zu ihr zurück und er fragt, also, was ist passiert, Dini? Was ist mit dir? Ich habe dich vor ein paar Tagen angerufen und du hast dich nicht gemeldet.
Ich habe mich plötzlich nicht wohl gefühlt, als würde ich gleich ohnmächtig, sagt sie zögernd, ich konnte nicht aufstehen, weil mir so schwindlig war, und er betrachtet sie prüfend, du hast schrecklich abgenommen, isst du überhaupt? Hast du heute etwas gegessen? Und sie sagt, nein, ich habe keinen Appetit, und er öffnet wieder seine Aktentasche und nimmt ein eingewickeltes Sandwich heraus, dunkles Nussbrot, zwischen dem Tomatenscheiben und ein Salatblatt hervorlugen, komm, iss ein bisschen, und sie befühlt das Brot erstaunt, was für ein üppiges Sandwich, machst du dir jeden Morgen solche Brote? Er lacht, nein, nicht ich, und sie versucht es wieder, ist es Schlomit, die dir das Brot herrichtet?, und er sagt, nein, das ist nicht ihre Art, und Dina mustert ihn neugierig, faltet das Papier zusammen und beißt in das frische Brot, in den weichen Ziegenkäse, und plötzlich wird sie von Heißhunger gepackt, und die geheimnisvollen Hände, die für ihren Bruder das Brot geschnitten und mit Käse, Tomate und Salat belegt haben, trösten indirekt auch sie.
Willst du Kaffee?, fragt er, da drüben an der Straßenecke sehe ich ein Cafe, und sie sagt, nein, dort war ich vorhin, lass uns hierbleiben, ich habe dir fast alles weggegessen, sie hält ihm den Rest des Brots hin und er beißt schweigend hinein, betrachtet das Brot, das immer weniger wird, bis seine Hand leer ist und er ein Papiertaschentuch herausnimmt, um sich die Krumen von den Lippen zu wischen, und sie schaut ihn an, seine glatten Wangen sind normalerweise von dunklen Stoppeln bedeckt, die seine Augen betonen, die im blendenden Nachmittagslicht fast durchsichtig aussehen, weißt du noch, wie wir uns nachts in der Küche getroffen haben? Worüber haben wir gesprochen? Ich erinnere mich, dass wir miteinander gesprochen haben, weiß aber nicht mehr, worüber.
Darüber, dass wir
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