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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Händen zu arbeiten, wenn sie nach Israel kämen, würden sie sofort in die Kibbuzim eingegliedert werden, und wie wichtig es sei, sich mit amerikanischen Juden zu treffen und Geld für die jüdische Bevölkerung hier im Land zu sammeln, damit wir es aufbauen können, damit wir uns schützen können, mach dir keine Sorgen, Chemda, die Zeit vergeht schnell, in weniger als einem Jahr komme ich zurück, schreib mir lange Briefe, du schreibst so schön, und Chemda verabschiedete sich erschöpft von ihr, sie wusste, dass auch sie gab, was sie konnte, und mehr als das, sie gab ihre Mutter.
    Auch als Erwachsene kam sie immer zu spät, eine Minute oder zwei, die den ganzen Tag versauten, wer hat schon von einer Lehrerin gehört, die zu spät kommt? Lehrer werden sowieso misstrauisch beobachtet, sie arbeiten nicht mit den Händen, nur wenn sie zu einem speziellen Einsatz eingeteilt sind oder bei den allgemeinen Diensten, man schaut Lehrer auch dann noch krumm an, und besonders eine Lehrerin, die nie pünktlich ist, die ihre Schüler nicht zwingt, Hausaufgaben zu machen, die keine Prüfungen abhält und keine Noten verteilt. Sogar ihre Schüler, denen das solchen Spaß machte, betrogen sie, verrieten sie an ihre Eltern, aber sie verabscheute Konkurrenz, sie hasste Autorität, wich vor Disziplin zurück, sie wollte, dass die Schüler freiwillig lernen, denn ihre eigenen Wunden, durch Zwang hervorgerufen, waren noch nicht verheilt, wie hätte sie nun andere zwingen können. Auch das Lehramt war ihr fast aufgenötigt worden, was für Möglichkeiten blieben ihr in jenen Jahren nach dem Krieg? Eine Arbeit im Kuhstall, im Hühnerstall, in der Küche, im Kinderhaus? Da war das Lehramt besser, aber eigentlich hätte sie Literatur und Bibelwissenschaften studieren wollen, und sie zwangen sie, Landwirtschaft zu unterrichten, und später auch Naturwissenschaften in den unteren Klassen. Sie verzieh ihnen nicht, dass sie sie zwangen, Naturwissenschaften zu unterrichten, denn damit entlarvte sie das Geheimnis der Natur, das ihr zu nah und zu wertvoll war, als dass sie es hätte lehren wollen, es zu einem Joch für sich selbst und für ihre Schüler zu machen, zu einer ungeliebten Last, zu der ihr schon bald ihr ganzes übriges Leben wurde. Wie enttäuschend war doch das Erwachsenenleben, hatte ihr Vater es ebenso empfunden, und ihre Mutter? Vermutlich nicht, denn sie beschäftigten sich mit ganz anderen Aufgaben, zum Beispiel wie ein Mensch sein sollte, und nicht damit, wie das Leben sein sollte.
    Doch so war in ihren Augen damals ihr Leben als Erwachsene, der Raum wurde immer enger, so wie er für den See zwischen den Stahlungeheuern, die ihn aufgruben, immer enger wurde, zwischen dem Kanal im Westen und dem Kanal im Osten, die mit dem sinkenden Wasserspiegel immer tiefer wurden. Der todgeweihte See starb schon viele Jahre lang vor ihren Augen, aber er gab nicht so schnell nach wie sie, immer wieder tauchten Schwierigkeiten für die Ingenieure mit ihren vollendeten Baumaschinen auf, die aus Amerika gekommen waren. Wieder und wieder trieb er sie zurück, wieder und wieder musste die Arbeit unterbrochen werden, weil er sich weigerte, auszutrocknen, weil er die Entwässerungskanäle verstopfte, weil er das Pflügen der ersten Furche verhinderte, und sogar in der letzten Phase, der schlimmsten von allen, als sie die Eisenpfosten der Schleuse herausnahmen und sich im ganzen Gebiet die Ehrengäste und Neugierigen drängten, die gekommen waren, um das Wunder der Hinrichtung zu sehen, schließlich war versprochen worden, dass er innerhalb von wenigen Stunden leer wäre, mussten sie unverrichteter Dinge abziehen, denn der See leistete wochenlang Widerstand, bis der Winter ihn wieder füllte. Immer wieder glaubten sie, jetzt wäre es geschafft, und immer wieder kamen sie mit anderen Lösungen zurück, bis sie verstand, dass es sich nur um letzte Zuckungen handelte. Sie würden nicht aufgeben, sie waren fest entschlossen, ihn zu opfern, und verglichen das auch noch mit der Erschaffung der Welt, so wie sie entschlossen waren, ihre Kinderlosigkeit Unfruchtbarkeit zu nennen, und die Schwangerschaft, die sich endlich einstellte, einen Segen, denn einige Jahre nach dem Aufgeben des Sees gab auch sie auf.
    Sie seufzt, was war das bloß und warum, warum lebt ausgerechnet sie so lang, länger als ihr See, länger als ihre Eltern, länger als ihr Ehemann? Auch in Sachen Tod verspätet sie sich, stiehlt noch einen Moment des Nichtstuns, träumt vom Ende, und

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