Fuer den Rest des Lebens
er jetzt mit dir zusammen ein fremdes Kind aufzieht, mit endlosen Problemen?
Soll er es eben nicht mit mir aufziehen, ich brauche nur seine Unterschrift, ich ziehe es schon allein auf, sagt Dina, und ich habe all diese Unkerei satt, man könnte glauben, dass alle leiblichen Kinder gesund an Leib und Seele sind, und Naomi sagt gereizt, hör zu, mit dir kann man nicht reden, du bist komplett durcheinander, du kannst nicht klar denken, du solltest zu einem Psychologen gehen, oder noch besser zu einem Gynäkologen, das geht schneller, er wird dir ein paar Hormone verschreiben und das Problem ist gelöst.
Ich glaube nicht, dass du das sagst, sie lehnt sich an die Autotür und zu ihrem Leidwesen bricht ihr die Stimme, als sie sagt, sieh an, also jeder ausgefallene Wunsch einer Frau, der die männliche Ruhe stört, ist sofort eine Hormonstörung? Schämst du dich denn nicht?
Was soll ich machen, manchmal ist es eben so, Naomi setzt sich ins Auto, dreht ihr das teigige Gesicht zu, manchmal spielen die Hormone wirklich verrückt. Jetzt fängt eine neue Phase in deinem Leben an und du musst dich dem stellen, du musst vorwärtsgehen und nicht zurück. Es tut mir leid, dass ich so hart bin, aber ich muss dir das so klar sagen, eine gute Freundin muss die Wahrheit sagen, sie darf nicht jeden Blödsinn unterstützen, und jetzt Schluss, ich muss Ro’i vom Kindergarten abholen, man sieht sich, und schon ist sie verschwunden, sogar ihr Auto ist klein und rund und trotzdem beweglich, wie sie, Dina schaut ihr feindselig hinterher, an den trockenen Baumstamm einer Zypresse gelehnt. Sie erschrickt, der Baum scheint zu schwanken, aber sie ist es, die schwankt, sie hat mal wieder den ganzen Tag nichts gegessen, sie ist es, die von ihrer besten Freundin keine Spur von Wärme und Unterstützung bekommen hat, und vielleicht hat sie sogar recht, vielleicht wird sie ihr irgendwann dankbar dafür sein, aber nicht heute, heute fühlt sie sich verlassen und betrogen, heute hat sie das Gefühl, nie wieder mit ihrer besten Freundin sprechen zu können, der einzigen Freundin, die sie in den letzten Jahren hat, seit der Kontakt zu Orli abgebrochen ist, und als sie an Orli denkt, schlagen ihre Zähne aufeinander wie nach einem plötzlichen Temperatursturz, Orli hätte sie bestimmt verstanden, sie war mutig und originell, keine konservative massige Bärin wie Naomi, aber wo ist sie jetzt, ist sie wirklich in den Tod gesprungen, doch auch wenn sie noch lebt, für sie ist sie tot, Orli wird es ihr nie im Leben verzeihen, so ist sie, mutig und originell, aber auch rachsüchtig und nachtragend, wie könnte sie jemandem verzeihen, der ihr Vertrauen verraten hat, der ihr Leben zerstört hat. Als sie gedankenverloren die Straße überquert, bremst quietschend ein Auto vor ihr, so dicht vor ihr, dass sie die Wärme des Motors spürt, und der Fahrer schreit sie an, pass doch auf, du Idiotin! Wenn du dich umbringen willst, dann nicht bei mir! Und sie betrachtet ihn erstaunt, woher kennt er sie überhaupt, bestimmt glaubt auch er, dass eine Adoption schlicht verrückt ist, und erst da fällt ihr auf, dass sie bei Rot über die Straße geht, und trotzdem geht sie weiter, obwohl ein schweres Motorrad laut hupend an ihr vorbeifährt, und als sie endlich den Gehweg erreicht, wundert sie sich, wie schwach ihr Lebenswille ist, über das plötzliche Versiegen aller Energie. Es kommt ihr vor, als würde alles, was sie die ganzen Jahre über fast gedankenlos getan hat, ohne Überlegungen und ohne Absicht, auf einmal in Zweifel gezogen, die Sorgfalt, mit der Menschen ihr Leben hüten, damit die Flamme nicht erlischt, denn plötzlich fragt sie sich, ob es für dieses tägliche Bemühen, die Straße vorsichtig zu überqueren, überhaupt eine Rechtfertigung gibt, dafür, dass man nach rechts und links schaut, um sich zu vergewissern, dass die Straße frei ist, wofür eigentlich, denn sie selbst, zum Beispiel, Dina Horowitz-Jarden, Dozentin für Geschichte des Mittelalters am College, fast sechsundvierzig Jahre alt, verheiratet und Mutter einer Tochter, hat an diesem glühend heißen Vormittag, an dem ihr die Zähne vor Kälte klappern, nichts dagegen, dass eines dieser Verkehrsungeheuer ihr hilft, ihre offensichtlich unlösbaren Probleme ein für alle Mal zu erledigen, das Durcheinander der verschiedenen Stimmen, der Stimme des Herzens und der Stimme der Vernunft, ihrer Stimme und den Stimmen ihres Mannes, ihrer Tochter und ihrer Freundin, und sie stellt sich vor, wie sie
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