Fuer den Rest des Lebens
in diesem uralten erniedrigenden Wettbewerb geschlagen.
Hör mal, Oma, angenommen, du hast ein Paar alte Schuhe, die du viele Jahre getragen hast und nicht mehr brauchst, was machst du dann mit ihnen?, fragt sie, und Chemda lächelt, du weißt doch, bei uns im Kibbuz sind die Schuhe so lange getragen worden, bis sie auseinanderfielen, mein Vater hat damit geprahlt, dass er nie im Leben ein Paar Schuhe weggeworfen hat, und wieder unterbricht das Mädchen sie, aber heute ist es anders, heute wirft man sie weg, nicht wahr? Man stellt sie neben die Mülltonne, bis jemand sie mitnimmt, stimmt’s? Und Chemda nickt, vermutlich, warum fragst du das? Hast du Schuhe gefunden, die du haben willst, und deine Mutter erlaubt es nicht? Und das Mädchen antwortet mit gebrochener Stimme, wieso denn, Mama wirft mich jetzt weg wie ein Paar alte Schuhe.
Sie wirft dich weg?, fragt sie erstaunt, was redest du da, deine Mutter liebt dich sehr, aber das Mädchen protestiert mit einem seltsamen Schnauben, du bist nicht auf dem Laufenden, Oma, sie liebt mich überhaupt nicht mehr, und sie nimmt ein Papiertaschentuch aus der Schachtel, die auf dem Medikamententisch steht, und putzt sich die Nase, neigt den Kopf zur Schulter stößt ein kurzes Jammern aus.
Genug geweint, Chemda streichelt traurig Nizans Haare, sie hat das alles mehr als einmal gehört, was passiert mit einer Familie, die gemeinsam ums Lagerfeuer der Liebe sitzt und die ganze Zeit nur die Höhe der Flammen misst, was für ein Qual wird von einer Generation zur nächsten weitergegeben, wie kommst du auf diese absurde Idee? Bestimmt liebt sie dich, du bist doch ihre Tochter, ihre einzige Tochter!
Das ist es ja gerade, schreit das Mädchen, sie möchte ein Kind adoptieren, verstehst du? Plötzlich fällt es ihr ein, dass sie mich austauschen will! Und Chemda fragt erstaunt, was soll das heißen, sie will dich austauschen? Wortfetzen, Gesprächsfetzen, sie näht sie mühsam zusammen, wer hat was zu wem gesagt, und wann, die Münder scheinen sich abzuwechseln, die Zungen rollen, aber eine durchsichtige Erinnerungsspule bleibt in ihrer Hand, sie darf sie nicht wieder fallen lassen, was soll das heißen, dich austauschen, ich habe euch beide in gleichem Maß geliebt! Wortfetzen, Gesprächsfetzen, während ihre Enkelin an ihrer Schulter weint, solange ich ihr süßes kleines Mädchen war, hat sie mich geliebt, und jetzt, da ich größer bin und ihr weniger gehöre, findet sie sich nicht damit ab, und sie hat eine einfache Lösung gefunden, nämlich auf mich zu verzichten und an meiner Stelle ein anderes Kind zu nehmen, ich will es ihr nicht schwerer machen, ich werde aus dem Haus gehen und sie mit ihrem neuen Kind allein lassen.
Was ist das bloß für eine Geschichte, die du mir da erzählst, sagt sie, für einen Moment ist das Bild in ihrem Kopf ganz klar, sie muss es in Worte fassen, bevor es verschwimmt, das ist ihre Chance, und vielleicht wird sie keine andere bekommen, noch ein Schritt, Chemda, fall jetzt nicht hin, und sie sagt mit Mühe, du und deine Mutter, ihr seid kein Ehepaar, natürlich ersetzt ein neuer Mann den früheren, aber ein Kind? Denk zum Beispiel an deine Cousins, als Jotami geboren wurde, hat er Tomer etwa ersetzt?
Das ist etwas ganz anderes, Oma, du verstehst es nicht, das Mädchen löst sich von ihrer Schulter, nimmt die Brille ab und legt sie auf den runden Tisch, sie möchte ein Kind adoptieren, ein völlig fremdes Kind vom anderen Ende der Welt, und Chemda sagt, jedes Kind ist fremd, bis es auf die Welt kommt, und manchmal auch danach, aber ein Kind ist ein Kind, da gibt es keinen wesentlichen Unterschied, das ist ganz ähnlich wie eine Schwangerschaft.
Tatsache ist doch, dass sie nicht schwanger sein wollte! Sie wollte kein weiteres Kind, als ich noch kleiner war. Erst jetzt fällt es ihr plötzlich ein, das heißt doch, dass es Bedingungen für ihre Liebe gibt, in dem Moment, in dem ich ihr nicht gebe, was sie braucht, sucht sie sich jemand anderen, ich bin schuld an allem, sie wimmert, ich war böse zu ihr, sie hat es nicht ausgehalten, und jetzt bestraft sie mich und lässt mich allein, wie ich sie allein gelassen habe, es geschieht mir recht, dass sie aufgehört hat, mich zu lieben, und Chemda zieht das zitternde Mädchen wieder an sich, das unaufhörlich redet, ich habe es nicht so gemeint, es ist einfach passiert, ich verstehe mich selbst nicht, plötzlich ist alles anders, ich habe angefangen, mit meinen Freundinnen herumzuziehen, und jedes
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