Fuer den Rest des Lebens
verloren und brauchte ihren Halt.
Gedankenlos betrachtet er die wenigen Gäste, zu seinem Erstaunen kennt er niemanden, manche sitzen auf den Kissen, kleine Teller in den Händen, andere schlendern hin und her, nachdenklich oder in Gespräche versunken, es scheint, als seien alle, groß und klein, von der gleichen süßen Erwartung erfüllt, der Erwartung, dass das junge Paar, das heute Abend hier, an diesem Ort, verheiratet wird, allen Anwesenden so etwas wie Hoffnung und ein Ziel geben würde, Erbarmen und Wahrheit. Ein angenehmer Windhauch fährt ihm durch die Haare und bringt den Duft nach Blüten und Seife mit sich, nach Essen und Getränken, Kellner, weiß gekleidet wie Engel, servieren den wenigen Gästen Essen im Überfluss, und er probiert von den Gerichten und fragt sich, warum für eine so kleine Hochzeitsgesellschaft ein so luxuriöser Veranstaltungsort gewählt worden ist, ob die meisten der geladenen Gäste vielleicht nicht gekommen sind, und warum?
Er sieht Schlomit, die auf die Uhr schaut und ihm einen unzufriedenen Blick zuwirft, als wäre er auch an dieser Verzögerung schuld, er zuckt mit den Schultern, es ist schon fast acht Uhr, wo ist das Paar und wo ist der Rabbiner und wo ist der Hochzeitsbaldachin? Haben die Zweifel, die er in ihr geweckt hat, ihren Entschluss wieder ins Wanken gebracht, sitzt sie jetzt weinend in dem festlich geschmückten Auto und weiß nicht, was sie tun soll? Und vielleicht hat sie sich im letzten Moment dazu entschlossen, auf seinen Rat zu hören und aus seiner Lebenserfahrung zu lernen, vielleicht hat sie die Hochzeit abgesagt und man hat es nicht geschafft, alle Eingeladenen zu informieren, deshalb sind so wenige Gäste gekommen, und er zieht sein Handy aus der Jackentasche, um sich zu vergewissern, dass keine neue Nachricht gekommen ist, nimmt gedankenlos ein gefülltes Weinblatt von einem Tablett, während Schlomit sich von ihm entfernt und auf eines der Kissen sinken lässt, als habe sie mit diesem Ereignis nichts zu tun.
Im abnehmenden Licht wird der Rasen schnell dunkler, die Kissen werden grau, Schlomits Gliedmaßen sind schon nicht mehr klar zu erkennen, sie ist zu einem menschlichen Block geworden, versunken in wütende Gedanken, und er erinnert sich an den Abend ihrer Trauung im Kibbuz, vor fast zwanzig Jahren, er war schon vaterlos, nie hat er das Fehlen seines Vaters so hart empfunden wie damals, als er lange unter der heißen Dusche stand, er wusste, dass zu diesem Zeitpunkt die Tische vor dem Speisesaal weiß gedeckt wurden, dass Menschen ihre guten Sachen anzogen und manche sogar von weit her kamen, bald würde man ihn umarmen und beglückwünschen, während er nur Lust hatte, hinauszurennen, die Tischdecken herunterzureißen und den Blumenschmuck zu zerstören, er wollte nackt und nass über den Rasen rennen und schreien wie ein neugeborenes Kind und die Gäste mit seinem Geschrei verjagen und Schande über seine Familie und seine Braut bringen, und schon ist er überzeugt, dass so etwas an diesem Abend passieren würde. Er hat nicht umsonst eine derart große und traurige Nähe zu Anati gespürt, als sie zum ersten Mal in seinem Büro vor ihm stand, eine Nähe, die er irrtümlich als Anziehung interpretiert hat, eine Anziehung, die sich auflösen wird, wenn sie gleich, wie in seinem alten Traum, nackt über den Rasen läuft, ihre schweren Brüste werden hin und her schaukeln, sie wird weinen und mit aller Kraft schreien, und ihr werden ihr Bräutigam und ihr düsterer, verwitweter Vater hinterherrennen, und als er sie endlich in ihrem einfachen weißen Brautkleid zwischen dem Publikum auftauchen sieht, Arm in Arm mit ihrem Bräutigam, glaubt er dem, was er in Gedanken gesehen hat, mehr als dem, was sich jetzt vor seinen Augen abspielt, denn ihre geschwollenen Augen und ihre roten Wangen verraten, ebenso wie die Blässe des Bräutigams, dass die Verspätung kein Missgeschick war. Mitleidig betrachtet er sein Gesicht, das energische Kinn und die schmalen Lippen, die ihn hart aussehen lassen, im Lauf der Jahre werden seine Herrschsucht und seine Forderungen überhandnehmen, und was wird dann aus diesem Mädchen, das mit acht Jahren die Mutter verloren hat und seither über sich selbst in der dritten Person spricht, und angespannt folgt er ihnen, lässt seine Frau zurück und bahnt sich einen Weg zu ihnen, als wäre er der Rabbiner höchstpersönlich, der Mann, ohne den die Trauung nicht stattfinden kann, er drängt sich zu den nächsten Angehörigen,
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