Fuer den Rest des Lebens
neugeborenen zweiten Kind beschäftigt war, wunderte sich, warum ausgerechnet in ihrem Leben Geburt und Tod so eng verbunden waren, so eng wie Zwillinge.
Einer nach dem anderen, fast in der Mitte ihrer Jahre, hatten ihre Eltern diese Welt verlassen, gaben, wie es ihre Art war, ein persönliches Beispiel, entschlossen, niemandem zur Last zu fallen, und weil sie ihr nicht die Gelegenheit geboten hatten, sie zu pflegen, pflegte sie voller Hingabe ihren kranken Ehemann, sie wollte ihnen beweisen, dass sie dazu in der Lage war, sie wollte sie an ihrem Kummer darüber, dass sie sich nicht auf sie verlassen und ihr vertraut hatten, teilhaben lassen, dafür, dass sie sich geniert hatten, vor ihr Schwäche zu zeigen. Erst nachdem er krank wurde, verstand sie, dass sie von Anfang an so mit ihm hätte leben sollen, als würde er morgen sterben, erst dann begriff sie, wie irreführend das vermeintlich lange Leben ist, und auch das bedauerte sie, als sie ihn pflegte und den Alltag akzeptierte, der von seiner Krankheit bestimmt war, sie erfüllte die klare, eindeutige Aufgabe, obwohl er es ihr nicht dankte und nicht aufhörte, sich zu beklagen und ihr Fehler vorzuwerfen, fast bis zu seinem letzten Tag, er warf ihr seine Krankheit und sein Leiden vor. Erst da verstand sie ihn, denn auch wenn man unaufhörlich beschuldigt wird, ist man nicht zwangsläufig schuldig, und sie war fast dankbar für diese Entdeckung, die ihr neue Kraft gab, und jetzt denkt sie an die Nacht seines Todes, die sehr heiß und schwül war, sie lag neben ihm auf dem Bett und hielt seine glühend heiße Hand, achtete auf seine Atmung. In jener Nacht wusch sie seine noch immer dichten, gelblich weißen Haare und sein gequältes Gesicht strahlte eine blendende Traurigkeit aus. Ein abgehacktes Keuchen kam aus seiner Kehle, sein Mund stand offen und Blutfäden blitzten zwischen seinen Zähnen, und sie schmiegte sich an ihn und atmete für ihn, bis sie für kurze Zeit einschlief, und als sie aufwachte, keuchte er bereits nicht mehr, wieder einmal war sie zu spät gekommen. Mit heiliger Ehrfurcht streichelte sie den Körper, der neben ihr lag und schon kalt wurde, und je kälter er wurde, umso angenehmer und tröstlicher war ihr die Berührung, sie streichelte seine Stirn, seine Wangen, seinen Hals, die hervorstechenden Schlüsselbeine. Seine Haut wurde von Minute zu Minute starrer, wie polierter Marmor, und sie konnte die Hände nicht von ihm lassen, sie legte die Stirn auf seine Brust, als wäre er ein verlässlicher Halt.
Nie war ihr sein Körper so angenehm gewesen wie in jener Nacht, in der er ihre Berührung nicht erwidern konnte, und sie schmiegte sich an ihn, zögerte, sich von ihm zu trennen. Ihre Kinder schliefen noch und sie weckte sie auch nicht, sie konnten ihm sowieso nicht mehr helfen, und am liebsten wollte sie bis in alle Ewigkeit mit ihm zusammenbleiben, doch plötzlich wurde an die Tür geklopft, sie hatte vergessen, dass sie einen Fernsehtechniker bestellt hatte, um das Gerät vor seinem Bett zu installieren, der Techniker kam ins Zimmer, öffnete seinen Handwerkskoffer, machte sich an die Arbeit und warf nur manchmal einen Blick auf die reglos daliegende Gestalt.
Sie sagte kein Wort, sie lehnte mit dem Rücken am Kopfende des Bettes und betrachtete stolz ihren schönen Ehemann, der im grellen Morgenlicht erstaunlich jung aussah, seine glasigen blauen Augen standen offen, waren auf das Fenster gerichtet, und erst nach einer ganzen Weile trat der Techniker näher und fragte mit zitternder Stimme, entschuldigen Sie, ist er tot? Sie nickte nur, als sei das das Normalste von der Welt, als könnte man in jeder Wohnung in irgendeinem Bett eine Leiche finden, aber der Techniker packte hastig sein Zeug zusammen und verschwand, entschuldigen Sie, ich bin ein Cohen, ich darf mich nicht in der Nähe einer Leiche aufhalten, und sie schrie ihm hinterher, aber was ist mit dem Fernseher? Sie hatte vergessen, dass sie ihn nicht mehr brauchte, Sie können mich doch nicht einfach so zurücklassen, sie rannte ihm bis ins Treppenhaus nach, weinend, das ist nicht anständig, endlich sind Sie gekommen und jetzt gehen Sie schon wieder?
Wie jung war er, als er starb, im Vergleich zu ihr heute, wie jung waren ihre Eltern, wer hätte geglaubt, dass ausgerechnet sie erfolgreich wäre, noch dazu auf diesem Gebiet, die Erste in ihrer Familie, die wirklich alt geworden ist, die dem Tod keinen Zugriff erlaubt hat, und manchmal denkt sie, dass sie, weil sie nicht gelebt hat,
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