Fuer den Rest des Lebens
gekränkt, es gefällt ihr, dass er sie fotografiert, sie sitzt mit nackten Schultern auf dem Bettrand, vermutlich gefällt sie ihm noch immer, so wie er ihr gefällt, sie nimmt ihm den Fotoapparat aus der Hand und hält ihn vor ihr Auge, nicht bewegen. Wie ein Paar, dem eine schmerzliche Trennung bevorsteht, fotografieren sie sich gegenseitig, aber das Foto, das sie von ihm macht, wird nicht gut werden, denn genau in dem Moment kommt er auf sie zu und hebt ihr Kinn hoch und streicht über ihre Schulter und zieht ihr das Laken vom Körper, und als sich ihm ihr Rücken entgegenwölbt, weiß sie, dass sie kein altes Ehepaar mehr sind, das versucht, eine erloschene Glut anzufachen, sondern ein Mann und eine Frau auf der Schwelle zu einer Veränderung, und sogar er, der noch nichts davon weiß, verändert sich vor ihren Augen, seit Jahren hat sie ihn nicht mehr so gesehen, so sehnsüchtig und hingegeben. Versteht auch er, dass in diesem Moment eine Entscheidung zwischen ihnen entsteht, ein Funke der Liebe zu einem Jungen, von dem sie noch nichts wissen, außer dass er niemandem gehört, ein Niemandeskind, das zu ihrem werden wird?
Die Nähe verdoppelt ihre Lust, von den Zehenspitzen bis zur Kopfhaut genießt sie die Berührung, die Berührung des weichen Lakens und die Berührung seiner Hände und seiner Lippen und die Berührung ihrer Hände auf seinen Hüften. Sie unterscheidet schon nicht mehr zwischen seinem Körper und ihrem, sie meint, auch seine Lust zu spüren, denn als sie ihr Herz öffnet, kann sie ihn erkennen, wie er ist, besorgt um sich und um sie, erschrocken über die Veränderung, und sie kann ihm sein starres Herz verzeihen, und sogar ihrer Mutter wird sie heute verzeihen können, denn plötzlich sieht sie sie als verlassenes, armes Mädchen, und sie sieht die Mutter dieses verlassenen Kindes.
Das ist es, was der Junge von mir verlangt, denkt sie, meiner Mutter zu verzeihen, damit er seiner Mutter im Lauf der Zeit verzeihen kann, für ihn wird sie es tun, für ihn wird sie verzeihen, für ihn wird sie Mitleid und Lust empfinden, sie wird einen Seufzer der Lust und des Entzückens durch das offene Fenster schicken, damit er über das schwere Wasser des Toten Meeres zur anderen Seite schwebt und von dort Richtung Norden, bis hin zu dem Jungen, der in einem kleinen Holzbett in einem engen Zimmer liegt, umgeben von anderen Kindern, die ebenso verlassen sind wie er, einige werden weinen, andere bereits schlafen, und wieder andere schlagen mit ihren Köpfen an das Bettgitter, nur er wird zum Fenster schauen und seine Lippen werden sich zu einem Lächeln verziehen, denn ihre Stimme dringt an sein Ohr und er weiß, dass sie ihn bald holen wird, bald wird sie über ihn sagen: Das ist der Sohn unserer Liebe, nach dem ich mich sehne.
Ihre Hände zittern, als ihre Finger sich mit seinen verschränken, ihr Kopf liegt an seiner warmen Brust, ihre rechte Hand hält seine linke, ihre linke seine rechte, und als sie die Arme zur Seite bewegt, bewegen sich auch seine Arme mit ihren, und sie sagt, Gideoni, ich habe mich entschieden, ich mache es, und vielleicht hat sie es nicht deutlich gesagt, vielleicht wollte sie es nur sagen, denn er antwortet nicht, deshalb sagt sie es noch einmal, diesmal lauter, und er antwortet noch immer nicht, und sie schreit ihn nicht an und sagt kein weiteres Wort, und sie erklärt nichts und argumentiert nicht, sie droht nicht, sie überredet nicht und verspricht nichts, das alles hat sie bereits getan, und jetzt, an ihrem Geburtstag, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihm mitzuteilen, was sie vorhat, und auf seine Antwort zu warten, mit der er sich Zeit lässt. Er hat die Arme seitlich ausgebreitet, sein Gesicht kann sie nicht sehen, sie spürt an seiner Brust nur seinen Atem, vermutlich spürt er auch, dass der Vorrat an Worten begrenzt ist, deshalb zögert er, wählt sie sorgfältig. Es tut mir leid, dass du dich so entschieden hast, wird er schließlich sagen, mit erstickter Stimme und erschrocken, als sei er lange am Abgrund entlanggelaufen, aber ich kann mich nicht daran beteiligen, und sie wird den Kopf heben und ihm ins Gesicht schauen, er wird blass sein, fast durchsichtig, und sein Blick wird ihr ausweichen, und sie wird den Kopf wieder auf seine Brust legen, trotz seiner Weigerung wird sich nichts an ihrer Nähe ändern, und sie wird ein Bein auf seines legen und sich an ihn schmiegen, ihren Körper auf seinen legen, ihre Lippen auf seine, und sie wird flüstern, ich brauche
Weitere Kostenlose Bücher