Fuer den Rest des Lebens
Augen und auf seinen Wangen, hat sie das Gefühl, als habe er ihrer Bitte schon nachgegeben, als habe ihre eigentliche Reise schon begonnen und verleihe diesem Tag Hoffnung und Größe. Sie durchqueren die Wüste nicht, um zu essen und zu ruhen und sich zu erfreuen, sondern um das Kind auf den Schoß zu nehmen, und dieser Mann, der mit ihr fährt, ist dazu bestimmt, Vater des Kindes zu sein, das wird ihre Liebe zu ihm vertiefen, sie kann sie schon in ihrem Körper spüren, diese wunderbare Erwartung des Kommenden, manchmal muss man die Zukunft erschaffen, wenn sie es nicht selbst tut, das ist es, was sie tun will, so wird sie es ihm sagen, ich werde uns eine Zukunft erschaffen, komm, begleite mich, weggehen kannst du noch immer.
Von Minute zu Minute wächst ihre Liebe zu ihm und erfüllt das Auto, ihre Liebe zu ihm, zum Leben, dass ihr schon fast zuwider war, zu ihrer Tochter, zu dem Jungen, der auf sie wartet, denn allein der Gedanke an das Kind verleiht ihr eine märchenhafte Kraft, die immer größer wird, während zugleich die Landschaft vor ihren Augen an Bedeutung verliert.
Es kann nicht sein, dass ich das alles sehe, die Felsen, das glitzernde Wasser, den rosafarbenen Dunst, der von ihm aufsteigt und im Himmel verschwindet, sieht so die kommende Welt aus? Doch vorläufig spürt sie nur die Macht der jetzigen Welt, die von ihr verlangt, etwas zu unternehmen, bevor ihr Leben zu Ende geht, deshalb wird sie, sobald sie in dem vorbestellten Zimmer sind, sich an diesen Mann wenden, mit dem sie beschlossen hat, ihr Leben zu teilen, ihm ihren endgültigen Entschluss mitteilen und ihn bitten, sie zu begleiten.
Ist es die dicke Luft, die vor ihrem offenen Fenster erzittert, oder ist sie es, die vor ihm erzittert, so zerbrechlich ist dieser Moment, wie dünnes, poliertes Glas, und alles ist gleichzeitig zu sehen, das Gute und das Böse, der Segen und das Verderben, und obwohl sie schon gelernt hat, dass das menschliche Leben sich zumeist irgendwie zwischen den beiden Extremen bewegt, scheint es ihr diesmal, als gäbe es kein Dazwischen, Erhabenheit oder Zerbrechen, Assimilation oder Vertreibung, und deshalb zittert sie vor dem offenen Fenster, aber als sie ein Laken über ihren nackten Körper zieht, wird sie von einer glücklichen Sicherheit gepackt. Es wird geschehen, letztlich hängt es nur von ihr ab, deshalb ist es richtig, vorläufig loszulassen und zwischen ihnen Platz für Lust einzuräumen, einen Ort der Lust entstehen zu lassen, der seelischen und der körperlichen Lust, und einen Moment lang denkt sie an den Namen, der nie zu ihrer Mutter gepasst hat, auch nicht zu dem Ort und der Zeit, in die sie hineingeboren wurde, was hatten die Großeltern ihr mit diesem Namen mitteilen wollen?
Chemda ist verloren, sagt sie und meint eigentlich, die Lust ist verloren, und Gideon, der gerade aus der Dusche kommt, ein Handtuch um die Hüften geschlungen, fragt lächelnd, was hast du gesagt? Sie lächelt ihn ebenfalls an, nichts, sagt sie, denn jetzt will sie sich leichtherzig der Lust hingeben, sie will sich in diesen Moment sinken lassen und ihn auskosten, sie will diesen Mann in dieser Minute lieben, sie will seinen Körper lieben und auch ihren, der heute sechsundvierzig Jahre alt geworden ist und der, obwohl er kein Leben mehr hervorbringt, imstande ist zu lieben, diese Fähigkeit wird ihr die Zeit nicht wegnehmen können, im Gegenteil, vielleicht ersetzt das Herz, wenn die Fruchtbarkeit erlischt, das, was fehlt, denn sie liebt sein kleines, etwas schiefes Lächeln, seine maßvollen Bewegungen, mit denen er den Fotoapparat auf die diesige, geheimnisvolle Luft draußen vor dem Fenster richtet, als könne man dort alles Mögliche sehen, wenn sie sich auflöst, sogar den verlorenen See ihrer Mutter.
Immer denkt sie an ihrem Geburtstag an ihre Mutter, denn dieser Tag gehört vor allem ihr, es dauert viele Jahre, bis sich der Geburtstag von den Eltern löst und in den Besitz der Kinder übergeht, als erstes Zeichen ihres Erwachsenwerdens, herzlichen Glückwunsch, Mutter, auch wenn du dich nicht über mich freuen konntest, und Gideon richtet das Auge seiner Kamera auf sie, was soll das, ich habe die ganze Zeit das Gefühl, als wäre noch jemand mit uns im Zimmer. Es gibt doch immer andere Menschen, sagt sie, jene, die uns geboren haben, und die, die wir geboren haben, und die anderen, die nicht geboren wurden, und er lacht und drückt auf den Auslöser, fang ja nicht wieder mit deinen Klageliedern an, doch sie ist nicht
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