Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
dich, ich brauche deine Unterschrift, danach bist du frei, ich habe keine Ansprüche an dich, und er wird heiser antworten, in Ordnung, so soll es sein. Wie zerbrechlich dieser Moment sein wird, wie schnell kann die Ordnung zerbrechen, die sie so sorgfältig hergestellt hat, und er wird seine Finger aus ihren lösen und sein Körper wird unter ihrem hervorrutschen, er wird sich anziehen, die Brille aufsetzen und sich den Fotoapparat umhängen, er wird seine Sachen in den Koffer werfen, als gelte es, aus einem Katastrophengebiet zu fliehen, und wenn sie ihn traurig fragen wird, was tust du?, wird er sagen, ich fahre nach Hause, kommst du mit?, und sie wird ihn anschauen und sagen, nein, ich bleibe hier, ich habe Geburtstag.
    Er hat nicht mehr gesehen, wie sie immer weniger wurde, sie hat im letzten Drittel ihres Lebens ein Drittel ihres Gewichts verloren, er hat nicht mehr gesehen, wie ihre Haut schrumpelte wie Dörrobst, wie Früchte am Ende eines langen, leeren Lebens, er hat nicht mehr gesehen, wie ihre Brüste erschlafften und ihre Scham kahl wurde, wie ihr Haare auf dem Kinn wuchsen, bis man nicht mehr erkannte, ob sie ein Mann oder eine Frau war. Sie ist allein alt geworden, allein, sein Leiden ist ihr nicht erspart geblieben, aber ihr Leiden wurde ihm erspart, bestimmt wäre er inzwischen deshalb dankbar, hätte er es gewusst, aber natürlich im Geheimen, damit sie nicht aufhörte, ihn zu entschädigen. Wäre er heute in der Lage, sie zu pflegen, Tomaten für sie zu zerdrücken und sie mit einem Löffelchen zu füttern, eine Windel unter ihrem dürren Becken herauszuziehen, hatte er ihr einen Gefallen getan, als er sie an der Schwelle des Alters allein ließ, oder war das ein weiterer Racheakt seinerseits gewesen, zu spät, um ein neues Leben zu beginnen?
    War es wirklich zu spät? Heute ist sie sich nicht mehr so sicher, es lag nicht an ihrem Alter, sondern an ihrer eigenen Zeitrechnung. Wieder entschied sie sich für Zurückhaltung, so wie damals, als sie im Speisesaal auf den Rücken gefallen war, sie gab von vornherein auf, trennte das Leben von der Realität, akzeptierte nur das Unvermeidliche, das sie immer enttäuschte, die Kinder, die Kinder, und es blieben die Spaziergänge an den Sommerabenden und die privaten Unterrichtsstunden für die Kinder der Nachbarn, die von Jahr zu Jahr unwissender wurden, und ihre Phantasien am Fenster, und ihr leeres Heft, und alles, woran sich zu erinnern verboten war.
    Vielleicht solltest du in den Kibbuz zurückkehren, schlugen ihre Kinder nach dem Tod des Vaters vor, nacheinander packten sie ihre wenigen Habseligkeiten und verließen das Haus, Dina mit Etan, Avner mit Schlomit, komm doch nach Hause, baten die Besucher aus dem Norden, die von Zeit zu Zeit bei ihr auftauchten, was hast du in dieser Stadt verloren, wie kannst du so allein hier leben. Die Kinder, mit denen sie aufgewachsen war, die herumtobten, während sie noch im Laufstall lag, die ihre Geschichten vom See verlacht hatten, waren in einem alten Lieferwagen gekommen, sie brachten ihr Kartoffeln, Avocados, Eier, was hast du denn hier? Nichts hast du, gar nichts, aber sie klammerte sich an ihr neues Leben, auch wenn es ihr nichts bot, außer einer Negierung des vorherigen. Ihrem Mann versuchte sie zwar am Ende seines Lebens zu verzeihen, doch ihrem Kibbuz zu verzeihen fiel ihr schwer, auch als er sich schon in Auflösung befand, sie folgten wütend dem Traum, der immer mehr verkümmerte und so kurz war wie ein menschliches Leben, kürzer als ein menschliches Leben, und durch und durch löchrig. Das ist also eure großartige Geschichte, kicherte sie und erinnerte sich an eines der wenigen Male, als ihre Mutter sie im Kinderhaus ins Bett brachte und sie sie darum bat, ihr eine Geschichte zu erzählen, und die Mutter es ablehnte und sagte, seit ich hier ins Land gekommen bin, habe ich alle Geschichten vergessen, Chemdale, denn unsere Geschichte hier ist die größte von allen, alle Märchen und Sagen verblassen gegen sie.
    Dann erzähl mir doch diese Geschichte, bat sie, und ihre Mutter antwortete, diese Geschichte hat keine Worte, nur Taten, was wir mit unseren Händen tun, ist unsere Geschichte, du, der Kibbuz, das Land, und sie akzeptierte diese Antwort mit einer Mischung aus Schmerz und Liebe, so wie sie die Reisen der Mutter akzeptierte, wie sie ihren frühen Tod akzeptierte, nachdem ihre Nierenerkrankung erneut ausgebrochen war und sie diesmal mit Leichtigkeit bezwungen hatte, und Chemda, die mit ihrem

Weitere Kostenlose Bücher