Fuer den Rest des Lebens
und immer wieder küsst er den dichten Haarschopf, aus dem vertraute Gerüche aufsteigen, das Rührei vom Abendessen, der Toast vom Frühstück, Jotams Windeln, die flüssige Seife mit Mandarinenduft, gemischt mit dem Geruch nach Weichspüler, ein Zuhause, im Guten und im Bösen, hier ist sein Zuhause, hier in ihrer Umarmung, ohne Wände und Möbel, mein Junge, mein lieber Junge, ich bin stolz, dein Vater zu sein, sagt er.
Vielleicht nimmst du mich mal mit zum Gericht, schlägt Tomer vor, und tatsächlich holt er ihn drei Wochen später morgens an der Haustür ab und stellt erstaunt fest, dass der Junge ein weißes Hemd unter dem Mantel trägt, dazu eine blaue Hose, als handle es sich um den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, er ist still und feierlich, gespannt darauf, die Protagonisten der Geschichte zu sehen, die seine Phantasie angeregt und seinen Sinn für Gerechtigkeit geweckt haben. Weiß Mama, dass du heute mit mir kommst?, erkundigt sich Avner, und Tomer antwortet, natürlich, ich habe es ihr erzählt und sie hat gesagt, man muss sich für das Gericht gut anziehen, und Avner ist angenehm überrascht von ihrer geheimen Unterstützung. Er schlüpft in seine Robe und schreitet mit festen Schritten neben seinem aufgeregten Sohn durch die Korridore. Nasrin kommt ihnen entgegen, ihre Haare sind sorgfältig nach hinten gebunden, ihr Gesicht zeigt einen gespannten Ausdruck, sie stellt ihnen ihren Ehemann vor, einen kleingewachsenen, rundlichen Mann, und ihren ältesten Sohn, der neugierig Avners Sohn betrachtet, und da er keine Praktikantin mehr hat, setzt er seinen Sohn neben sich, gibt ihm das Zeichen, aufzustehen, als der Richter eintritt, ein neuer Richter, den er noch nicht kennt, jung, mit feinen Gliedmaßen. Man muss es den Kindern zuliebe tun, murmelt er vor sich hin, sein Blick wandert von seinem Sohn zu Nasrins Sohn, als sei er in einem Gebetshaus und nicht in einem Gerichtssaal, die Anwesenheit der Kinder verleiht ihm eine fast vergessene Kraft, und als der Staatsanwalt verkündet, dass der Bruder der Frau mit einer Terrororganisation zusammenarbeite und in Gewaltakte verwickelt sei, steht er sofort auf und wendet ein, man könne kaum glauben, dass in diesem Fall nicht anders entschieden werden könne, sie habe schließlich schon seit zehn Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung, und in all diesen Jahren habe es keinen Kontakt zu ihrem Bruder gegeben, deshalb bestehe kein Sicherheitsrisiko bezüglich ihres weiteren Aufenthalts in Israel, der Ausweisungsbeschluss sei ungesetzlich und beeinträchtige in hohem Maß das Recht des Ehemanns und der Kinder auf ein Familienleben in dem Staat, dessen Bürger sie sind, es sind friedfertige Menschen, fleht er aus tiefstem Herzen, erlauben Sie ihnen, Ihr Misstrauen gegen sie zu zerstreuen.
Zu seiner Freude zeigt sich auch der Richter hart gegen den Staatsanwalt und fragt, gibt es Beweise dafür, dass sie sich mit ihrem Bruder getroffen hat? Und worin genau ist der Bruder verwickelt? Und Avner lässt den Blick über die wenigen schweigenden Zuhörer schweifen, betrachtet Nasrins Sohn, der sich an seinen Vater schmiegt. Alles scheint sich über den Köpfen der Beteiligten abzuspielen, so wie sich Chirurgen im Operationssaal über einen Patienten in Narkose beugen und der betreffende Patient sein Schicksal nicht in der Hand hat, und nun werden die Zuhörer sogar aus dem Saal geschickt, bevor der Staatsanwalt dem Richter Geheiminformationen weitergibt, und als der Vertreter der Sicherheitsbehörde erscheint, der auf erstaunliche Weise dem Ehemann ähnlich sieht, greift Nasrin nach der Hand ihres Sohnes und jammert, was wird sein, der Richter glaubt uns nicht, ich habe nichts mit meinem Bruder zu tun, gar nichts, er war ein Spieler und hat mir Geld geklaut, er hat jeden in der Familie beklaut, niemand will etwas mit ihm zu tun haben.
Glaube ja nicht, dass heute schon das Urteil gesprochen wird, sagt er zu seinem Sohn, der mitleidig die weinende Frau betrachtet, bestimmt wird heute der Termin für eine weitere Sitzung festgelegt, und Tomer sagt, das ist wirklich ein schweres Problem, Papa, ich glaube ihr, dass sie keinen Kontakt zu ihrem Bruder hat, aber wenn er plötzlich mitten in der Nacht auftaucht und sie um Hilfe bittet, wird sie ihm dann nicht helfen? Wenn deine Schwester dich um Hilfe bittet, wirst du ihr dann nicht helfen? Und er seufzt, ich ziehe es vor, das nicht zu fragen, Tomeri, ich weiß die Antwort, und trotzdem würde ich sie deshalb nicht
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