Fuer den Rest des Lebens
donnern, flüstert sie, hab keine Angst, Mama passt auf dich auf, denn sie hat das Gefühl, als verändere sich der Moment der Wahrheit, eine Verwandlung, die sie nicht erwartet hat und noch nicht richtig versteht. Nein, sie wird ihn nicht holen, um von ihm jene Weichheit und Wärme zu bekommen, die sie von ihrer Tochter bekommen hat, sondern im Gegenteil, gerade wegen der Fülle, die sie bekommen hat, wird sie jetzt dazu fähig sein, diesen Jungen aufzuziehen, denn die Gefühle sind da, sie sind in ihr geblieben, wie sie es ihrer Tochter versprochen hat, auch wenn sie nie wiederkommt. Es ist nicht die Sonne, sondern die Erinnerung an die Sonne, niemand kann ihr das nehmen, und plötzlich bekommt alles ein anderes Gesicht, das harte Gesicht des Jungen, das zu dieser Nacht passt, in der Regen auf die Dächer prasselt, und sie macht das Schiebefenster auf und hält den Kopf hinaus in den kalten Regen, der gegen ihren Nacken peitscht und an ihren Haaren zerrt.
Ihre Zähne schlagen aufeinander, als sie sich in die Dunkelkammer zurücktastet, dort schläft Gideon, seit sie nach Hause zurückgekommen ist, ihre Hände brennen, als sie sich wie eine Straßenkatze in sein Bett schleicht, sie hat das Gefühl, als wären ihre Fingerspitzen mit Eis überzogen, ist das die sibirische Kälte, die plötzlich mit dem Bild des Jungen hereingebrochen ist? Was ist, brummt er, seine Arme umschließen sie warm und tröstlich, als habe er vergessen, dass sie einander nicht mehr berühren, dass sie fast nicht miteinander sprechen, und seine Umarmung ermutigt sie, sie legt den feuchten Kopf auf seine Brust. Gideoni, hör zu, ich habe einen Jungen für uns gefunden, wir müssen hinfahren, komm, schau dir sein Foto auf meinem Computer an, doch er stößt sie von sich und richtet sich auf, was? Was redest du da? Ich möchte kein Foto von irgendeinem Jungen sehen, ich fahre nirgendwohin!
Aber du hast es versprochen!, schreit sie, zieht seinen Arm näher, du hast versprochen, mich zu begleiten, und er schiebt sie mit einer harten Bewegung von sich, beruhige dich, willst du Nizan wecken? Ich habe dir nichts versprochen, ich sage schon seit Monaten, dass das nicht zu mir passt, und du ignorierst das, wie du immer alles ignorierst, was du nicht hören willst, und sie gibt nicht nach, aber du hast versprochen, dass du mit mir hinfährst, man wird ihn mir nicht zeigen, wenn ich allein komme, das Gesetz verlangt, dass du mit mir zusammen hinfahren musst.
Ich habe es dir nicht richtig versprochen, zischt er, ich habe nicht geglaubt, dass es passieren würde, ich habe gedacht, es vergeht dir, ich wollte Zeit gewinnen, und sie flüstert heiser, du wolltest Zeit gewinnen? Du hast es nicht richtig versprochen? Sie hat das Gefühl, als würden ihre Knochen unter dem Schlag zerbrechen, und sie betrachtet ihre Arme, von außen ist nichts zu sehen, aber unter der Haut zerbröckelt alles. Wie wird sie aufstehen und losfahren können, wie wird sie dem Jungen die Arme entgegenstrecken, wie eine Schlange wird sie durch die verschneiten Weiten des fernen Sibirien kriechen, und vielleicht ist sie schon dort, denn ihr ist so kalt, noch nie hat sie eine solche Kälte gespürt, sie breitet sich von der Mitte ihres Körpers aus. Gideon, flüstert sie, ich bitte dich nur um eines, fahr mit mir hin, tu alles, was das Gesetz verlangt, dann bist du frei, du hast dem Jungen gegenüber keine Verpflichtung.
Bist du noch normal?, faucht er, ich fahre nicht mitten im Winter nach Sibirien, sogar Stalin hatte Mitleid mit alten Leuten und hat sie im Winter nicht nach Sibirien geschickt, vielleicht im Frühjahr, wenn es nicht anders geht, und sie greift sich an den Hals, weil sie keine Luft bekommt, wir haben keine Wahl, sie haben uns jetzt ein bestimmtes Kind angeboten, wenn wir jetzt nicht fahren, verlieren wir es, und wir haben schon ein Kind verloren, ich bin nicht bereit, das noch einmal durchzustehen, und die ganze Zeit hat sie das Gefühl, dass der Junge ihnen zuhört, dass er sie mit seinen hoffnungslosen Augen betrachtet, und sie lächelt seinem Bild zu, um ihn zu schützen, damit er nicht die Hoffnung verliert, dann steigt sie aus dem Bett, stützt sich an der Wand ab, steht auf der Schwelle und betrachtet den verschlossenen Körper ihres Mannes, morgen früh bestelle ich die Tickets, ihre Stimme ist so kalt wie ihre Fingerspitzen, selbst wenn ich dich mit Gewalt mitschleppen muss, wir werden fahren.
Aber am Morgen tritt sie die Realität mit ihren starken Füßen,
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