Fuer dich mein Glueck
Sonnet zur ihr herüberschauen musste. „Vor was hätte sie dich gerettet?“
„Vor einer ganzen Menge Mist, den ich so gemacht habe. Und vor einer ganzen Menge Mist, den ich mir von anderen Leuten habe antun lassen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.“ Sie zeigte auf ihre Fußfessel. Dann wechselte sie das Thema und nickte in Richtung Fenster. „Ist das der Willow Lake?“ Sie blickte auf das Wasser, das in der Mittagssonne glitzerte. Die eleganten Weiden, die dem See seinen Namen gegeben hatten, tauchten ihre Zweigspitzen um den öffentlichen Anleger der Stadt ins Wasser.
„Ja, wir sind auf dem Weg zu seinem nördlichen Ende, an dem das Camp Kioga liegt.“ Der Produktionsplan sah vor, dass Jezebel eine der Hütten bezog. Der Großteil der Sendung sollte im Camp gedreht werden. Die Produzenten hatten einen Deal mit Olivia Bellamy Davis gemacht, der das Resort gehörte. Als Gegenleistung für die Dreherlaubnis würde Mickey Flicks Produktionsfirma das Sommercamp für vierundzwanzig Stadtkinder finanzieren.
„Camp Kioga“, Jezebel pfiff einen undefinierbaren Laut. „Ich bin nie in einem Sommercamp gewesen.“
„Da oben ist es wirklich schön“, sagte Sonnet. „Es wird dir gefallen.“
„Hast du deinen Sommer dort verbracht, Cremetörtchen?“
„Nein. Zu meiner Zeit war das Camp geschlossen. Die Bellamys haben es erst vor ein paar Jahren wiedereröffnet und in ein Ferienresort verwandelt.“ Früher hatte Sonnet die Schönheit der Umgebung wie selbstverständlich hingenommen. Wenn man jeden Tag auf dem Weg zur Schule jeden Tag das Paradies durchquerte, war es irgendwann nichts Besonderes mehr. Doch einem Kind, das nie etwas anderes als das Großstadtleben kennengelernt hatte, musste die Gegend um den See wie eine magische Welt vorkommen. Vielleicht ging es Jezebel ja ähnlich.
„Ich werde mich hier so unglaublich langweilen, dass mein Kopf explodieren wird“, warnte Jezebel.
Vielleicht findet sie es hier doch nicht so magisch, dachte Sonnet. Sie blickte über den Rückspiegel zu Zach, um zu sehen, was er wohl dachte. Überrascht stellte sie fest, dass er immer noch drehte. Missmutig blickte sie wieder zurück auf die Straße. Sie erinnerte sich daran, dass er nur seinen Job machte. Und ihrer war es, ihn im Hintergrund zu unterstützen. Trotzdem war es verstörend, wie leicht man vergessen konnte, dass man gefilmt wurde.
Jezebel trank noch einen Schluck von ihrem Energy-Drink und verzog das Gesicht. „Boah, das ist fies.“
„Hinten liegen Wasserflaschen“, bot Sonnet an.
„Ich muss das Zeug trinken“, erwiderte Jezebel, „zumindest ab und zu, wenn die Kamera läuft. Die Forms sponsert die Show.“
„Ach ja.“ Sonnet hatte keine Ahnung, wie so eine Filmproduktion funktionierte. Ihre Aufgabe hier unterschied sich so sehr von ihrer Arbeit bei der UNESCO. Doch am Ende des Tages würde sie bei ihrer Mutter sein können, und darauf kam es an.
Bei dem Gedanken an ihre Mutter bekam Sonnet schwitzige Hände. Sie versuchte immer noch, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ihre Mutter Brustkrebs hatte. Sie fühlte sich mit einem Mal überfordert und verletzlich wie ein kleines Mädchen. Denn egal wie alt Sonnet auch werden würde, sie würde nie aufhören, ihre Mutter zu brauchen. Der Gedanke daran, dass Nina nicht mehr da sein könnte, war für Sonnet unerträglich.
Bislang verhielt sich Nina unauffällig und entspannt, aber Sonnet kannte ihr Mom. Vielleicht kannte sie sie sogar besser, als Greg sie kannte. Nina hatte den Drang, ihre Sorgen in kleine Päckchen zu verschnüren und ganz tief in ihrem Inneren zu verstecken. Sonnet wusste das so gut, weil sie es genauso machte. So bewundernswert diese Eigenschaft auch war, gesund war sie vermutlich nicht. Und wenn Nina jemals gesunde Eigenschaften benötigt hatte, dann jetzt.
Sonnet bog auf den schmalen Privatweg ein, der durch den dichten Wald zum Camp hinaufführte. Uralte Ulmen und Ahornbäume säumten den Wegesrand, und hellgrüne Farne und Blaubeerbüsche bedeckten den Waldboden. Am Ende des Weges hieß ein Rundbogen die Besucher willkommen, auf dem in hölzernen Buchstaben CAMP KIOGA stand. Der Weg führte im Kreis um einen Fahnenmast herum zum Hauptgebäude. Normalerweise würden Gäste hier anhalten und einchecken, aber Jezebel war kein gewöhnlicher Gast. Das hier war eine Realitysendung.
Ein Team aus drei weiteren Leuten erwartete sie bereits, um Jezebels erste Reaktion auf das Camp Kioga zu filmen. Sonnet war schon
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