Fuer dich mein Glueck
es genau das war, was Orlando für sie so unwiderstehlich machte.
„Mach dich nicht lächerlich“, murmelte sie, als Zach außer Hörweite war. „Er ist dein Freund, nicht der Heilige Gral.“
Sonnet hatte weder Orlando noch ihrem Vater von ihrem vorübergehenden Job bei der Fernsehproduktion erzählt. Es war beiden schon peinlich genug, dass sie das Stipendium abgelehnt hatte. Wenn sie ihnen erzählte, dass sie von der Leitung einer UNESCO-Abteilung zur Assistentin einer Realityshow über einen berüchtigten Hip-Hop-Star abgestiegen war, würden die Männer sie endgültig für verrückt erklären.
Doch genau so etwas tut man für seine Familie, sagte sie sich. So etwas tat man für seine Mom. Man drehte allem anderen den Rücken zu und blieb in der Nähe, und zwar so lange, wie man gebraucht wurde. Der Rest ihres Lebens würde immer noch auf sie warten, wenn der Sturm vorüber war.
Das war ihr Mantra auf der Zugfahrt zurück in die Stadt, als sie ihre Wohnung untervermieten und ihre Sachen in ein Lager bringen wollte. Orlando war übers Wochenende in Washington, D.C. gewesen, aber ihr Vater hatte sich bereit erklärt, sie in ihrem üblichen Coffeeshop in der Nähe seiner Wohnung in der Upper West Side zu treffen. Er hatte ihr erklärt, dass seine Tochter Layla an diesem Tag aus dem College heimkäme und er daher nicht sehr viel Zeit für sie hätte.
Als sie die Tür zu ihrem Wohnhaus öffnete, rechnete sie damit, von einer Sehnsucht überfallen zu werden, doch stattdessen fühlte sie sich seltsam gleichgültig. Sie hatte über fünf Jahre in dieser kleinen Wohnung gelebt und sich doch nie zu Hause gefühlt. Seitdem sie aus Avalon weggegangen war, hatte sich keine Wohnung wie ein Zuhause angefühlt. Jede war nur ein weiterer Schritt auf ihrer Reise. Sonnet leerte ihren Briefkasten und entfernte das Schild, auf dem S. Romano stand, und schon war es, als wäre sie nie hier gewesen.
Oben in dem briefmarkengroßen Apartment brauchte sie nicht lange, um alles zusammenzusuchen. Weil es so winzig war, hatte sie immer Ordnung gehalten. Es gab nur wenige persönliche Dinge, die ihr etwas bedeuteten. Sie nahm eine Collage in die Hand, die aus Fotos von ihr und ihrer Mutter im Laufe der Jahre bestand. Das älteste Foto war eines von ihr und Nina, auf dem Nina noch jünger aussah als die meisten Teenagermütter. Sonnet hatte das Bild schon Tausende Male gesehen, doch jetzt betrachtete sie es mit neuen Augen. Nina blickte mit einem Ausdruck von verzweifeltem Stolz in die Kamera, wie ein Kind, das ein Einser-Zeugnis mit nach Hause gebracht hatte. Doch statt eines Zeugnisses hielt sie ein kleines Bündel Mensch im Arm. Das Bild war gleichzeitig herzzerreißend und fröhlich. Obwohl sie noch so jung war, hatte Nina verstanden, dass ihr Leben von diesem Tag an einen ganz anderen Weg einschlagen würde, als sie immer gedacht hatte.
Andererseits, wer lebte schon das Leben, das er sich als Teenager erträumt hatte? Das gelang nur den wenigsten, und Sonnet gehörte nicht dazu. In ihrem Fall aber war es ein Glück. Denn sonst wäre sie jetzt eine Primaballerina mit sechs Kindern und einer Pferderanch.
Je älter Sonnet wurde, desto mehr verstand sie die Opfer, die ihre Mutter gebracht hatte. Nina hatte zwei Jobs gehabt, um sie beide über die Runden zu bringen, und Sonnet hatte mehr Zeit mit ihrer Großmutter als mit ihrer Mutter verbracht. Sie konnte sich nur an ganz wenige Momente erinnern, in denen Nina verzweifelt gewesen war, doch eine davon stand ihr noch deutlich vor Augen. Es war mitten in der Woche gewesen. Sonnet hatte ihre Hausaufgaben gemacht und eine Kleinigkeit gegessen und wartete darauf, dass ihre Mutter sie abholte. Nina arbeitete in verschiedenen Häusern als Putzfrau und kam deshalb manchmal abends erst sehr spät. Sonnet hörte sie mit Nonna in der Küche reden. Ihre Stimme war ganz belegt, so wie immer, wenn sie kurz davor stand, zu weinen.
„Mama, ich schaffe das nicht mehr“, hatte sie gesagt. „Ich bin abends so müde, dass ich nicht mal einschlafen kann. Was soll ich nur tun?“
„Gib etwas auf“, hatte Nonna ihr geraten. „Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass du alles auf einmal machen musst.“
„Aber wenn ich meinen Abschluss nicht mache, werde ich mich für den Rest meines Lebens mit Hilfsjobs herumschlagen müssen“, hatte Nina erwidert. „Das ist nicht das Leben, das ich meiner Tochter schenken möchte. Das Einzige, was noch schlimmer ist, als so weiterzumachen, ist, nicht so
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