Für ein Lied und hundert Lieder
Chen nachher zu mir, »an den Eingängen werden Maschinengewehre aufgebaut, aber die Regierungsleute machen alle ein fröhliches Gesicht. Am Frühlingsfest, an Neujahr, am Nationalfeiertag ist das Routine.«
Die Arbeit bestand diesmal aus dem Falten von Tütchen (das heißt kleine Papiertaschen, in die man pulverförmige, in Apotheken gebräuchliche Arzneien verpackt wie u.a. Kopfschmerzpulver, Schlafmittel für kleine Kinder, Furazolidon). Die Arbeit ging folgendermaßen vonstatten: Zuerst breitete man etwa tausend Blatt Druckpapier fächerförmig aus, bestrich sie entlang der Ränder mit flüssigem Leim und faltete sie dann geduldig Blatt für Blatt auf der Klebekante zusammen; das halbfertige Produkt wurde ordentlich gestapelt, und das Ganze wiederholte sich von der anderen Seite. Man wartete, bis das Ganze getrocknet war, überprüfte alles, und fertig.
Man erzählte sich, diese primitive, schlechtbezahlte und ungesunde Arbeit mache in der chinesischen Gesellschaft längst niemand mehr, deshalb schickten die Gefängnisse Leute, die das übernahmen. Sie benutzten die kostenlose Arbeitskraft, um mit wenig Geld die materielle Vergütung des Gefängnispersonals zu verbessern. Im Allgemeinen bedeutete ein Gefangener eine Prämie von mehreren hundert Yuan im Monat.
Zum Mittag gab es kostenlos rotgebratenen Tofu, jeder bekam eine große Schüssel davon. Erfahrene Gefangene hoben sich die Hälfte davon für abends auf. Anschließend traten die für die Rechnungsführung zuständigen Rotfelle an das hintere Fenster heran und notierten auf den Karten teure Markenzigarren, jede Packung vierundzwanzig Pfennig, deren Rauch dick und beißend war und Pulverdampf in nichts nachstand. Wenn mehr als zehn von diesen Rauchkanonen in der Zelle brannten, waren die Silhouetten der Menschen auf einmal ganz verschwommen, ständig paffte und spuckte es einem in den Ohren, es war, als wäre ich in eine Gaskammer geraten. Glücklicherweise kam der Wachhabende auf seiner Patrouille vorbei. Er erschrak ganz schön, als er die Bescherung sah, riss sofort die Eisentür auf und ließ die Raucher in den Innenhof hinaus.
Als der Spaß vorüber war, war es mit dem Mittagsschlaf natürlich auch vorbei. Die Kerle hockten alleine oder zu zweit oder zu dritt und arbeiteten eifrig.
Nach drei Tagen war die Probezeit vorüber, jeden Tag stieg die ursprünglich festgesetzte Norm an Tütchen, von 500 auf erst 1000, dann auf 1500, 2000, schließlich sprang sie auf 3000. Die Regierung trieb die Leute durch die Lautsprecher weiter zu Höchstleistungen an: »Besondere Arbeitsleistungen werden dem Gericht gemeldet und bilden die Grundlage für Strafminderungen.«
Unter diesem geistigen Opium machten die Topgefangenen, was die Geschwindigkeit anging, einen Großen Sprung nach vorn, und falteten in einer 24-Stunden-Schicht siebentausend Tütchen zusammen.
Die angespannte Arbeit führte dazu, dass viele Konflikte innerhalb der Zelle eine Zeitlang ruhten. Die kleine Arbeitsgruppe von lebenden Toten, die der Tote Chen leitete, wurde unerwartet zu einer großen Sache im Gefängnis. Da die für sie festgelegte Norm niedrig war, legten sie Pausen ein, hielten fröhliche Schwätzchen und bildeten einen deutlichen Kontrast zu den Leuten um sie herum, die sich in ihre Pflicht vergruben.
»099, ich helfe dir ein bisschen!« Mit diesen Worten ging der Tote Chen auch einmal vor mir in die Hocke und fing ein Gespräch an.
»Willst du dir noch einmal eine Landkarte ausleihen?«, sagte ich so daher, aber es saß.
»Ach, woher denn!«
Der Tote Chen wandte mir seine toten Fischaugen zu: »Ich habe in meinem Leben Landkarten immer besonders geliebt, schau, das ist die Route, über die Heroin geschmuggelt wird. Von Ruili in Yunnan nach Chongqing in Sichuan, eine Strecke von ein paar tausend Meilen, mit zahllosen Kontrollen, alles andere als einfach.«
»Mit dem Resultat, dass es einen Schiffbruch gab«, sagte der Vorsitzende Chen.
»Die Ware ist komplett im Nest angekommen, aber es scheiterte in den wertvollen Händen von Zhang Sanwa!«, seufzte der Tote Chen, »er will noch gestehen, um sich den Hals zu retten!«
»Ich habe mit dem Toten Zhang in der gleichen Zelle gesessen«, spottete ich, »er sagte, wenn du gehen musst, dann geh allein, es ist ja nicht notwendig, noch jemand anderen mit ins Grab zu ziehen.«
»Ich habe am Anfang genauso gedacht, wir waren jahrzehntelang Nachbarn, wir waren von Kindesbeinen an unzertrennlich, wenn er alle Schuld auf sich nehmen
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