Für ein Lied und hundert Lieder
sublimierte Nacht für Nacht die Emotionen der Insassen, die Tränen flossen in Strömen.
Ich seufzte resigniert, als auf einmal der Tote Chen sich über ein paar Bettstellen hinweg uns zuwandte: »Vorsitzender, wieso ist aus Lei Feng ein Mörder geworden?«
»Du hast bessere Ohren als ein Hund«, sagte der Vorsitzende Chen bissig. Der Tote Chen lachte: »Wenn man lange im Knast ist, werden die Ohren besser – jetzt zum Beispiel ist der Wachsoldat oben an ein paar Zellen vorbeigegangen, ich kann das spüren. Ob du das jetzt glaubst oder nicht.«
Die linke, erhobene Hand tat mir weh, ich wechselte und schaute durch die rechte: »In dieser Zelle sind einfach zu viele Todeskandidaten, du musst zu Regierung Tong und mit ihm reden«, sagte ich leise.
»Ich habe schon mit ihm geredet, er hat von dem Kleinen Teufel einen sehr guten Eindruck. Er sagt, wenn Todeskandidaten beisammen sind, können sie sich gegenseitig trösten, sie könnten sich aufeinander abstimmen«, gab der Vorsitzende Chen mit ernster Miene zurück.
Wir redeten mit nach oben gerichteten Gesichtern miteinander, wie zwei Mitglieder einer Untergrundpartei, die an einem öffentlichen Platz so tun, als würden sie einander nicht kennen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass man auch im Knast Beziehungen knüpfen muss«, alberte ich mit ernster Miene.
Der Vorsitzende Chen zog die Nase kraus, das hieß, es ging ihm genauso wie mir. Durch die Mauer drang leise ein raues, zügelloses Lachen: »Hihi, es gibt so gute Sachen! Wieso lässt man sie mich nicht sehen?«
»Li Yawei«, entfuhr es mir, »lass Huifang doch deine Mutter machen.«
»Dein Mitangeklagter nebenan hält es wohl nicht mehr aus«, sagte der Kleine Schwarze Teufel provozierend, »habt ihr das Drehbuch zur ›Brennenden Sehnsucht‹ geschrieben?«
»So einen Dreck schreibe ich nicht!«
»Der Dreck bist du!«, brüllte der Kleine Schwarze Teufel, »du bringst so was einfach nicht fertig!«
Der Blasse Magister mahnte nüchtern: »Vergesst es, vergesst es, Huifang ist die Geliebte von uns allen, ob wir stinken, ob wir gut duften, was ihr Literaten streut, ist alles ein Gift.«
Die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre zwischen den Kampfhähnen hielt keine paar Tage, da machte sich der Kleine Schwarze Teufel auf den Weg.
Es war ein Nachmittag, an dem der Boden goldgelb war, die lebenden Toten saßen wie immer im Kreis herum, falteten ihre Tüten und nahmen sich gegenseitig auf den Arm.
Der Blasse Magister sagte: »Schwarzer Teufel, du hast immer wieder erzählt, dass du vor nichts so einen Bammel gehabt hast wie vor deiner Alten, wie hast du dann den Mut aufgebracht, sie umzubringen?«
»Ich weiß es nicht, von dem Augenblick an, wo ich die Hand gehoben habe, weiß ich nichts mehr«, antwortete der Kleine Schwarze Teufel ehrlich.
»Beim Vögeln ist es genauso, wenn es einmal losgeht, weiß man nichts mehr«, wieherte der Tote Chen.
Der Kleine Schwarze Teufel sagte: »Hm, das kommt hin, trotzdem, dieser Augenblick, das war irgendwie ein geileres Gefühl als Vögeln. Denn Sex, das kann man wiederholen, aber jemanden umbringen kann man nur einmal. Das Weibsstück hat es gerne gemacht, indem sie sich auf mich draufdrückte, die hat mich mir ihren großen Titten fast erstickt – aber diesmal habe ich das Ganze in die Hand genommen, und als ich mal anfing, auf sie einzustechen, ging es gut von der Hand. Als ich nach dem ersten Stich das Blut sah, fing ich an zu summen, und irgendetwas hob mich in die Wolken; und von da oben habe ich dann weiter zugestochen, mit meiner letzten Kraft. Ein Stich ging ins Schulterblatt, ich packte das Messer mit beiden Händen und riss und rüttelte es hin und her, das alles mit so viel Kraft, dass ich einen Purzelbaum schlug.«
»Deine Liebe zu ihr ging halt durch Mark und Bein«, sagte der Blasse Magister perplex, »deine Alte wird sicher auf der Brücke zur Hölle auf dich warten.«
»Ich sollte von dir etwas lernen«, sagte der Kleine Schwarze Teufel resigniert, »nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Lude, du verwandelst dich auch ganz elegant in ein Gespenst.«
»Ich habe keine Zeit für deine Ohnmachtsanfälle«, sagte der Blasse Magister, »alles fein säuberlich getrennt halten, jeder Weg hat seine schwer zu lesenden Klassiker. Einmal habe ich eine Tür aufgewuchtet, bin rein und habe nach Herzenslust eingepackt, als zwei von den Hausbesitzern zurückkamen, vor Schreck habe ich mich unter einem Bett verkrochen. Glücklicherweise kamen die liederlichen
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