Für ein Lied und hundert Lieder
die Räuber gegangen, sie haben dich geschnappt, dabei ging es um nicht mehr als ein paar hundert Kuai; und ich, ich bin mit noch nicht zwanzig in die Jugendverwahranstalt gekommen, dann bin ich rausgekommen, habe zwei Jahre in Saus und Braus gelebt, und dieses Mal war ich gründlich weiß gewaschen, das Leben war keinen Pfifferling mehr wert. Je früher du in Richtung Wiedergeburt gehst, umso besser, Bruder!«
In der Zelle war es ganz still. Die Stimmung war gedrückt, von draußen kam ein dunkles Donnern, aber man sah keinen Tropfen Regen. Der Himmel senkte sich herab wie ein brennendes Segeltuch, in der Zelle wurde es noch düsterer. Ich streckte mich unwillkürlich und lehnte mich gegen die Wand, ich hatte das Gefühl, als würde ich gekocht, eigentlich waren die vier Wände immer am Schwitzen, ein Schweißtropfen neben dem anderen bedeckte die erkältete Haut der Wand.
Es war so heiß, dass die Gefangenen mit nacktem Oberkörper ans Werk gingen.
»Die Herbsthitze ist grauenvoll«, sagte der Vorsitzende Chen und wischte sich den Schweiß ab, »es wird doch nicht der Geist des Toten Chen sein, der sich nicht auflösen kann?«
»Morgen Nacht wird sein Essgeschirr am hinteren Fenster sicher klingen«, sagte der Vogel Sun und streichelte sich den runden Bauch, »der Tote Chen wird zurückkommen.«
Seine Stimme war noch nicht richtig verklungen, als es in der Zelle auf einmal ganz hell wurde. Ich schimpfte: »Verdammte Scheiße, die kranke Sonne hat sich doch noch durchgebohrt.«
Der Vorsitzende Chen schielte in den Innenhof und fügte hinzu: »Die Mauer ist oben rotbraun wie Babykacke.«
»Wo hat sie sich durchgebohrt?«, sagte plötzlich jemand draußen vor dem Gitter. Die Meute machte sich vor Schreck fast in die Hosen, denn im Abendschein stand, mit einem strahlenden Lachen auf dem Gesicht, der Tote Chen.
»Das ist großes Geschick«, murmelte Vogel Sun, »da haben wir was erlebt!«
Die drei Todeskandidaten umarmten sich in einer Mischung aus Trauer und Freude. Der Tote Chen schwankte, als sei er besoffen, der Vorsitzende Chen reichte ihm ein Handtuch, damit er sich das Gesicht abwischen konnte, doch er schob die Leute beiseite, als ob er es nicht gesehen hätte, und rollte sich allein in einer Ecke des Kang zusammen: »Lasst mich ein bisschen in Ruhe!«, sagte er.
Fast zwei Tage war der Tote Chen wie ein Traumwandler, wenn er nicht lag, saß er, schwarz im Gesicht. Selbst beim Essen starrte er nur vor sich hin, mit und ohne einen Bissen. Am dritten Tag kam langsam wieder Leben in ihn: »Wechsel mir den Leim!«, befahl er dem Kleinen Toten, »ich muss Tüten falten.«
»Was war denn los?«, ich musste einfach fragen.
»Es war ein Irrtum«, sagte der Tote Chen kraftlos, »der gleiche Name, der gleiche Vorname, und es ging auch um Drogenhandel.«
Wir waren alle entsetzt und lauschten mit angehaltenem Atem seinem Bericht: »Zwei Rotfelle haben die Limousine gefahren, wie der Wind war ich vor dem Richter, ich war gelähmt, und die beiden Rotfelle haben mich rechts und links gestützt. Das letzte Urteil habe ich nur verschwommen mitbekommen, als ich ganz einfach in die Luft stieg, mit dem Gesicht zum Himmel, und in einen Lagerraum getragen wurde. Ich wurde auf ein Strafbett gebunden, mein Kopf war vollkommen leer, und in meinem Tran hörte ich jemanden schimpfen: ›Scheißkerl, der hat sich in die Hose gemacht.‹
Der Himmel weiß, wie viel Zeit dann verging, ich hatte das Gefühl, dass ich eine Spritze in den Arm bekam, die Spritzenkanüle, dick wie ein Schnapsglas, wurde langsam rot, ich verstand, dass man mir Blut abnahm, aber ich wollte mich nicht bewegen und konnte es auch nicht.
Mein Körper sank Richtung Boden oder schwebte zum Himmel davon. Ich hörte es donnern, und dann hörte das Brummen in meinem Kopf nicht mehr auf. Ich starrte mit runden Augen vor mich hin, mit einer Hand hielt ich ein Augenlid fest, ich konnte nicht einmal mehr die Augen aufmachen, aber ich sah diesen Menschen in dem langen weißen Gewand. Ich träume ständig von ihm, er war bereits irgendein Organ an meinem Körper …«
Der Tote Chen redete noch ein wenig wirres Zeug, aber wir konnten ihn nicht mehr deutlich verstehen. Vogel Sun achtete nicht weiter darauf und sagte: »Bevor man in den Tod geht, macht man sich für die Medizin ein wenig nützlich, sie nehmen einem Blut ab, es wäre Vergeudung, wenn es einfach so aus den Schusswunden laufen würde.«
Nach all den Vorfällen gewöhnten sich die Todeskandidaten
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