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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Zelle, im ersten Stock und am hinteren Fenster standen große Soldaten mit schweren und leichten Waffen, ein formloses Kreuzfeuer umzingelte den Stahlbetonkäfig.
    Unser Regierung Tong trug einen großen Mundschutz, und seine Gehilfen warfen unentwegt irgendwelches Zeug von drinnen nach draußen wie Stoffseile, verbotene Korrespondenz und ausgeschnittene Zeitungsartikel. Meine drei Gürtel wurden beschlagnahmt, darüber hinaus büßte ich ein paar gelbe Knöpfe (in der fälschlichen Annahme, sie seien aus Kupfer) und einen metallenen Reißverschluss ein. Unter dem kraftvollen Griff eines Schraubstocks wurden meine beiden Hosen zu Babywindeln.
    Die Untersuchung zog sich über zwei Stunden hin, die Zelle war eine einzige große Müllhalde. Die Meute stürzte wie bei einem Feuer auf die von Rauch und Staub brodelnden Trümmer, sie zogen sie hastig auseinander, wobei sie gegeneinanderrumpelten, bis sich der Vorsitzende Chen glücklicherweise in dem ganzen Durcheinander aufrichtete und von sich gab: »Keiner greift hier wahllos zu! Alle der Reihe nach! Hemden und Hosen hierhin, Pullis und Wollhosen dahin, auf den Haufen hier die Unterwäsche, Socken, Taschentücher, ein Haufen für die Schuhe, Bücher und Briefe ein Haufen, alles an seinen Platz, und dann wie bei einer Auktion, wer den Zuschlag bekommt, holt sich sein Zeug ab.«
    Der Tote Chen war sofort dafür: »Das ist eine gute Idee! Wir wissen ja, was wem gehört.«
    Die Meute war einverstanden. Als das Durcheinander sich geklärt hatte, setzte sich der Vorsitzende Chen in die Mitte der Matte auf den Kang, wo alles klar und in Ordnung war, räusperte sich, suchte eine Jacke aus echtem Leder heraus und fragte: »Wem gehört die?«
    »Das ist meine«, sagte der Tote Chen kichernd.
    »Und diese Hose?«
    »Meine!«, rief ein neuer Wolldieb, als sei es eine Parole.
    »Ein bisschen leiser, wenn es deine ist, läuft sie dir nicht weg«, rüffelte der Vorsitzende Chen.
    »Das ist eine spaßige Arbeit«, sagte der Kleine Tote neidisch, »ein richtiger Dorftyrann beim Verteilen der Felder.«
    Der Vorsitzende Chen beachtete ihn nicht und fuhr mit seinen Ausrufen fort: »Wem gehört dieses mit Blumen bestickte Hemd?«
    Die Meute lärmte und hatte ihren Spaß, ein Bauer unter ihnen murmelte: »Frauen können nichts schicken«, und holte es sich geniert ab.
    Der Vorsitzende Chen sagte ungeduldig: »Ich werde zum Räuberhauptmann, wenn ich den Vorsitz führe bei der Verteilung der Beute.«
    Jeder bekam, was ihm gehörte, allmählich kehrte wieder Ruhe und Frieden ein. Erst bei dem letzten Ton brach Vogel Sun auf einmal in ein triumphierendes Siegergeschrei aus. Der fette Alte, der in diesem Jahr sechzig geworden war, kämpfte mit einem Jungen mit gelbem Mund um eine Unterhose.
    »Die hat meine Alte eigenhändig genäht«, stritt er mit seinen zusammengekniffenen Erbsenaugen herum, »ihr könnt es alle sehen, hier im Latz ist eine Markierung.«
    »Das ist das Symbol vom Playboy«, spottete der grüne Junge, »du Bauerndepp.«
    Ich schnappte mir die Unterhose, zog sie auseinander, verglich sie, nahm Maß an der Faßhüfte von Sun und sagte verwundert zu ihm: »Sun, Alter, und in das Spielzeug willst du passen?«
    »Die sind oben und unten elastisch, wieso sollte ich da nicht hineinpassen?«
    »Na, dann versuchs halt mal«, ordnete der Vorsitzende Chen an.
    Empört zog der Vogel die Hose herunter, riss mir die Unterhose aus der Hand und zog sie an – aber, welch ein Wunder, er hatte sie kaum über die Waden, als es schon nicht mehr weiterging, die Meute wieherte vor Lachen.
    »Ich habe die lange Unterhose noch an«, baute er sich selbst eine Brücke, »ich bin schon ein wenig senil.«
    Daraufhin zog er voller Zuversicht auch die Hose noch aus und ließ seine fetten Hüften sehen. Aber als der grüne Junge seinen runden Baseballbauch sah, stieß er vor Schreck einen schrillen Schrei aus: »Wenn du es noch mal versuchst, ist meine Hose hinüber!«
    Doch der Tote Chen zeigte sich ein wenig verwundet: »Er hat seinen Slip noch nicht ausgezogen, wo hat man denn das schon gesehen, dass einer zwei Hosen übereinanderzieht?«
    Der Vogel ruderte mit Händen und Füßen und stimmte ihm zu. Er wollte gerade weitermachen, als er plötzlich erstarrte.
    »Zieh dich aus, das wird ein Heidenspaß, das zu sehen«, ermunterte ihn der Tote Chen ernsthaft.
    »Fick dich!«
    Der Vogel war schließlich doch noch zur Besinnung gekommen und fing an zu fluchen: »Willst du das Arschloch von deinem Opa

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