Für ein Lied und hundert Lieder
allmählich an den Tod: »Tod und Leben sind nur Nachbarn, wir gehen nur von Tür zu Tür«, sagte der Blasse Magister halblaut und runzelte die Stirn. Er war ausgesprochen zufrieden, dass ihm diese Gedichtzeile eingefallen war: »Das ist mein Erstlingswerk«, sagte er in die Runde, »ich habe ziemlich weit oben angefangen, nicht wahr?!«
»Was heißt hier von Tür zu Tür, das ist ein bisschen sehr leichthin«, fing der Tote Chen an zu streiten.
»Das ist Kunst!«, sagte der Blasse Magister aufgeblasen, »wenn du es nicht glaubst, frag 099!«
»Ein bisschen Leichtigkeit ist gut, jeder Mensch muss diesen Weg gehen«, lobte ich, »in ein paar Jahrzehnten werden die, die heute andere hinrichten, auch durch diese Tür gehen müssen.«
»Jaja, das sind dann die ganz langen Ferien«, korrigierte der Tote Chen. »Ich habe gehört, dass die Vollstreckungsbeamten nach einigen Hinrichtungen einen langen Urlaub bekommen, um sich wieder auf die Reihe zu kriegen und weitermachen zu können. Auch ein Beruf, kein großer Unterschied zu einem Schweineschlächter.«
»Haben die Hoffnung auf ewige Ferien?«, fragte der Kleine Tote. »Dieses ständige Töten, wer hält das denn aus?«
»Am Anfang halten sie es auch nicht aus, aber nachher sind sie glücklich«, sagte der Tote Chen, »man kann auch nach dem Töten süchtig werden, das weiß der Kleine Schwarze Teufel hier am besten.«
»Der Mensch sei leicht zu töten«, sagte der Vorsitzende Chen bedeutungsvoll, »Schweine und Schafe trampeln heftig vor der Tötung, aber wenn ein Mensch sich einmal in sein Schicksal ergeben hat, dann hört der Widerstand auf. In den alten Zeiten, wenn da ein Intellektueller geköpft wurde, hat er noch den Hals extra lang gemacht und dem Henker eingeschärft, saubere Arbeit zu machen.«
»Das geht nicht, ich werde kämpfen«, schrie der Blasse Magister, als ob er das Schlachtermesser schon am Hals hätte.
»Sinnlos«, lachte der Vorsitzende Chen, »wenn der Henker dich an den Haaren packt, mit dem Messer in der Rechten einmal drüberfährt, dann noch einmal hin und her, dann rollt dein Kopf wie ein Fußball ein paar Meter; manchmal dreht er sich auch noch ein paarmal um sich selbst, und das Maul beißt knackend um sich.«
»Die Kopfnerven halten noch eine ganze Weile durch, bevor sie sterben. Ich habe gehört, dass der Kopf eines Gefangenen mit offenen Augen zugeschaut hat, wie ihm das Blut über einen Meter hoch aus dem abgeschnittenen Hals spritzte«, fügte ich hinzu, »er hat sogar geweint.«
»Ich habe keine Haare«, sagte der Blasse Magister. Die Meute kam wieder zu sich, sie sahen einander an und konnten das Lachen nicht unterdrücken. Der Blasse Magister sagte noch eigensinnig: »Egal wie, ich werde mich im entscheidenden Augenblick umdrehen und zuschauen.«
»Mach dir nichts vor«, sagte der Tote Chen, »ich hatte ja auch vor, ein Lied zu singen, und was war? Als sie mir das Blut abgenommen hatten, war ich ein Häufchen Elend, wenn es wirklich zum Richtplatz gegangen wäre, wäre ich auch noch mit einem Hanfseil vom Hals bis zu den Knien krumm zusammengebunden gewesen. Außer dass dir der After aufgeht, ist der ganze Körper angespannt.«
»Da graben sie ein Loch, an dessen Rand musst du dich hinknien«, äffte der Blasse Magister ihn nach, »das hast du schon siebenmal erzählt.«
»Und das achte Mal ist auch noch nicht genug«, belehrte ihn der Tote Chen, »wenn man jedes Kettenglied kennt, dann geht alles reibungslos, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Wie tief ist denn das Loch?«, fragte der Kleine Tote.
»So einen guten halben Meter. Wenn einer da kopfüber hineinfällt, noch zwei Strampler mit den Füßen, das war’s.«
»Und falls er noch nicht tot ist?«, hakte der Kleine Tote nach.
»Der Gerichtsmediziner hat in der Hand so ein Gerät, damit kann er in die Schusswunde hineinfahren, und wenn sich auf dem Gerät der Zeiger bewegt, dann muss noch einmal geschossen werden. Manchmal vergessen sie auch das Gerät, dann nimmt der Gerichtsmediziner einen Ast her und rührt damit ein paarmal in der Wunde und im Hirn herum, bis schaumiges Blut herausläuft …«
»Und dabei tritt ein übler Geruch aus, und deine Beine werden beim Treten immer gerader, wie Hühnerkrallen, und ein trockener Kötel steckt dir im Arschloch wie ein Pfropfen!«, fuhr der Blasse Magister fort und fing auf einmal an zu brüllen: »Bist du immer noch nicht fertig?«
»Das letzte Problem ist, ob das Geschoss den Hinterkopf oder die hintere Herzwand
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