Für ein Lied und hundert Lieder
ausbreitete. Oben vom Rand des Kang aus gesehen hatten beide die Augen ins Weiße verdreht, wie schwachsinnige Zwillinge. Benommen hatte ich das Gefühl, ein Messer am Hals zu haben, aber die Lider waren zu schwer, um sie zu öffnen. Die kalte Schneide schnitt in die Haut, was einem die Luft nahm. Jäh schüttelte ich den Kopf, sah geistesabwesend die Axt, wie er über meiner Stirn hing, beide Augen schneeweiß, ich setzte mich abrupt auf und brüllte mit zu Berge stehenden Haaren: »Was soll das?«
Die Axt gab ein Kreischen von sich, ließ mich los und machte sich an den Kopf eines anderen Schläfers heran. Seine rechte Hand wirbelte im Kreis, als schnitze er an einer Lehmform.
Ich war so erschrocken, dass ich meine Klamotten schüttelte. Von dem Windzug erschrak nun die Axt, begab sich zurück zu seiner Schlafstelle, aber ich schwebte weiter zwischen Schlafen und Wachen hin und her.
Die Neonlampe ergoss immer mehr weißes Blut, in dem ich erstarrte, um mich lagen zerstückelte Leichen, und die Axt jonglierte wie ein Taschenspieler mit unseren Schädeln.
Als am Morgen das Gitter aufging, stürzte ich nackt in den Innenhof und steckte den Kopf in eine Schüssel kaltes Wasser, zog mich, nass, wie ich war, an und putzte mir die Zähne. Die Axt hing mir wie mein eigener Schatten am Arsch und machte mir alles nach. Ich bekam es mit der Angst zu tun, aber die Axt hob den Daumen und sagte: »Du bist der Käpt’n.«
Wang Er kam vorbei und sagte: »Und was bin ich?«
»Du putzt die Planken auf dem Schiff.«
Wang Er kochte: »Und der, der die Planken putzt, gibt dir nichts zu essen.«
Die Axt sagte mit stierem Blick: »Ich bin Seemann!«
»Gut, wir alle sind Seemänner«, sagte ich unparteiisch, »wie lange warst du denn auf See?«
»Ich bin noch auf See.«
»Du bist doch längst an Land«, machte ihn der alte Bai aufmerksam, »dich werden sie gleich zum Gefängnisarzt bringen, und wenn dir nichts fehlt, dann ist deine Seefahrt für dieses Leben zu Ende.«
Beim Frühstück entfaltete Wang Er eine Hinterlist und rührte der Axt einen halben Napf Tütenkleber in seinen Reisbrei, den der, ohne irgendetwas zu bemerken, verschlang – was wiederum Wang Er eine diebische Freude machte. Dann wies er die Felldiebe an, sich nacheinander auf den Abtritt zu hocken und Wache zu schieben, er selbst überwachte streng jede Bewegung des Feindes. Nach etwa zwei Stunden konnte der Kerl erwartungsgemäß nicht mehr sitzen. Zuerst schaute er sich in alle Richtungen um, danach stürzte er nach vorn gebeugt und sich den Bauch haltend Richtung Toilette. Als Wang Er genug Kräfte gesammelt hatte, schrie er wie eine Flutglocke: »Zum Scheißen anstellen! Als Nächster bin ich dran!«
»Das geht nicht, ich kann’s nicht mehr halten!«, keuchte die Axt.
»Wir auch nicht«, äffte die Meute ringsum ihn nach.
Die Axt sperrte den Mund auf, kaute wie zum Protest auf der Luft herum, die Meute wich zwei Schritte zurück, kreiste ihn erneut ein und schrie wie aus einem Mund: »Ich kann’s nicht mehr halten!«
Die Axt rannte wie von Sinnen vor dem Lokus auf und ab, ein Panther im Käfig, hielt jäh inne, stank nach Schweiß und war nass wie eine Katze bei Regen. Unser Epileptiker Wan Li hingegen saß dreist auf dem Abtritt und las die »Renmin ribao« in allen Einzelheiten.
»Mir sind vom Hocken die Beine eingeschlafen!«, beschwerte er sich in bester Laune, »dabei bin ich noch gar nichts losgeworden!«
»Großer Herr, lasst mich nur einmal abdrücken, einmal«, sagte die Axt mit vor der Brust gefalteten Händen.
»Wenn wir die Disziplin verbessern, kann sich der Revolution nichts in den Weg stellen«, trompetete die Meute. »Anstellen! Anstellen!«
»Ich muss jetzt«, jammerte die Axt wie auf einer Beerdigung, zog die Hose herunter, machte einfach einen Schritt auf die Bühne und drückte sein mächtiges Gesäß auf den Kerl herunter, der den Abtritt besetzt hielt, ohne zu scheißen. Wan Li konnte nicht mehr vor und nicht mehr zurück und ging in einem Zehn-Meilen-Dünnpfiff unter.
Die Axt blieb sechs Tage in der Zelle, bis ihm schließlich das Gutachten des Gefängnisarztes, das besagte, er sei schizophren, das Leben rettete. Aber seiner lebendigen Strafe konnte er kaum entgehen – ein paar Tage ununterbrochenen Dünnpfiffs hatte den unwiderstehlichen Panzer zu einem Haufen Schrott gemacht. Bevor er ging, musste er alle drei Schritte eine Pause machen. Wan Li nutzte seine Schwäche und schlug ihm statt mit der Hand mit
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