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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Irrer.«
    Eigentlich machte dieser Mensch in den alten Wäldern tief in den Bergen Brennholz, im normalen Leben hatte er es lediglich in der Handhabung seiner Axt zur absoluten Meisterschaft gebracht, sonst verstand er sich auf nichts. Und eines Tages verfiel er auf einmal auf den eigenartigen Gedanken, den Kopf seiner Frau als Feuerholz anzusehen und in zwei Hälften zu spalten. Die heiße Hirnflüssigkeit spritzte heraus und verbrühte ihm die Augen, woraufhin er geschickt noch einmal mit der Axt nachhalf.
    Dieser kaltblütige Mörder lief ein paar Dutzend Meilen mit seiner Frau über einen Bergweg, um seine Tat zu melden. Die Polizei verhörte ihn die ganze Nacht, aber sie bekamen den Grund für das Geschehen nicht aus ihm heraus.
    »Meine Frau war dürr wie ein Holzscheit«, sagte er, »und wenn ich ein Holzscheit sehe, dann will ich es spalten.«
    »Ich bin auch dünn, warum haust du mich nicht in Stücke?«, spottete der Vernehmende. Der Mörder erhob sich mit einem meckernden Lachen: »Dann hol mir mal die Axt.«
    »Bleib, wo du bist!«, dem Vernehmenden fuhr es durch Mark und Bein, »morgen kommst du zur Untersuchung nach Chongqing.«
     
    Je mehr ich schreibe, umso größer werden meine Schwierigkeiten, umso dürftiger wird der Wortschatz, der in meinem Kopf zur Verfügung steht. Vorgestern hat jemand für meine jüngere Schwester angerufen, ohne seinen Namen zu nennen, und hat angekündigt, die Öffentliche Sicherheit werde umgehend vorbeikommen, um die privat finanzierte Zeitschrift »Der Intellektuelle«, in deren Redaktion ich bin, zu untersuchen. Diese Nachricht wirkt wie ein Aufputschmittel, das die ganze Familie verrückt machte, mein über siebzig Jahre alter Vater hat sofort meine sämtlichen Schriftsachen in einem Jutesack auf sein Fahrrad verfrachtet und ist ein paar Stunden im Kreis herumgefahren, um damit für etwaige Feinde sämtliche Spuren zu verwischen. Und auch ich habe mich auf die Straße hinausgestohlen, um schnell entsprechend Verdächtige anzurufen und ihnen dringend nahezulegen, sich aus dem Staub zu machen.
    Wieder zu Hause, habe ich gewartet und mir wieder einmal mit dem »Buch der Wandlungen« die Zukunft vorhergesagt, die Erklärungen verstrickten sich in hundert Widersprüche, man wusste nicht, was man glauben sollte. Am Abend hatten Uhongzhong und Liu Xia mich angerufen, und sie haben mich im Spaß ihren »alten Krieger« genannt und mich wie immer mit meiner Verlegenheit aufgezogen.
    Ich ärgerte mich und sagte: »Was ist daran so komisch?«, musste aber selbst lachen. Die Zeiten hatten sich geändert, was mich vor Jahren noch vollständig am Boden zerstört hätte, darüber konnte ich jetzt lachen. Ich hatte schon unzählige Male zu den Polizisten, die bei mir auftauchten, gesagt, dass es längst keine Genossen und Organisation mehr gäbe, die ich verraten könnte, dass sie viele Dinge sehr viel besser wüssten als ich. Die Zeit, die der Roman »Rote Felsen« beschreibt, gehört der Vergangenheit.
     
    Erst als das Durcheinander mit unserem Verrückten wieder in Ordnung gebracht war, drehte Regierung Yu sich um, nahm die Gefangenenliste in die Hand und machte weiter seinen Zellenappell. Wir teilten uns, wie vorgeschrieben, auf dem Kang in zwei Reihen, Gesicht zur Wand, die Beine untergeschlagen, die Hände auf dem Rücken. Antworteten laut und korrekt mit »Hier!«. Meine Nummer war 099, der Irre hatte 019, ausgerechnet, der alte Yu rief ihn dreimal auf, aber der Kerl gab keinen Mucks von sich. Der alte Yu regte sich so auf, dass er dem Hundesohn die Namensliste auf den Kopf schlug. Der machte ein steifes Genick und sagte gekränkt: »Ich heiße Zeng die Axt, nicht 019.«
    »Das ist deine Gefangenennummer.«
    »Meine Gefangenennummer ist ›Axt‹«.
    Der alte Yu sagte hilflos: »Wie es aussieht, bist du eine Schweinshaxe.«
    Als der Appell zu Ende war, gab es eine Diskussion unter den Gefangenen: »Wir haben einen Epileptiker, jetzt haben wir auch noch einen verrückten Axtmörder, diesmal ist ganz schön was los.«
    Der alte Bai lachte: »Alles, weil die Regierung Angst hat, dass wir uns hier zu Tode langweilen.«
    Der Drache nickte: »Ein lebendiges Spielzeug.«
    »Wer hier wen auf den Arm nimmt, ist noch nicht geklärt«, lachte Wang Er kalt. Sofort teilte er die Axt für die Nachtschicht ein.
    Um zehn klingelte die Ruheglocke, die Axt stand stocksteif an der Seite. Er wartete, bis es still war, bevor er sich zaghaft an Wan Li heranmachte und seine Kleider im Mittelgang

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