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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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der Waschschüssel ein gutes Dutzend Mal ins Gesicht. Und er schlug so hart zu, dass sein Gegner wie ein Sack Zement in sich zusammensank. Wang Er jubelte vor Freude, außerdem brüllte er wie von Sinnen: »Da bringt sich jemand um!« Daraufhin tat sich die Höhle auf, die Axt wurde von ein paar aggressiven Rotfellen hinausgeführt, die ihm kräftig den Elektroknüppel zu kosten gaben.
    Die Axt war weg, und in der aufgewühlten Zelle kehrte Ruhe ein. Endlose Regenzeit. Der enge Raum. Wir saßen wieder im Schneidersitz herum wie alte Frauen beim Nähen, den ganzen Tag über unsere Tüten gebeugt, der ganze Raum angefüllt mit dem nagenden Geräusch von Seidenspinnern, die Maulbeerblätter fressen. Von der Dachtraufe vor dem hinteren Fenster troffen unentwegt die Regenschnüre … es war unendlich langweilig … ich legte oft das Kinn auf das Fensterbrett und beobachtete die verschieden dicken Bindfäden des Regens. Ich war ein Tor, in dem berühmten Gedicht »Die Giraffe« des taiwanischen Autors Shang Qin [43] wird genau so ein Gefangener beschrieben, dessen Hals vom In-die-Höhe-Schauen lang wird, und als der Wärter ihn fragte, was es denn da oben zu sehen gäbe, sagte er: »Die Zeit.«
    Die Gefangenen um mich herum allerdings hatten nicht den geringsten Begriff von der Zeit. Wang Er bedauerte gerade, dass keine Zeit mehr gewesen war, die Früchte des Triumphs über den Irren zu genießen, da kam seine Anklageschrift, und er hatte die Ehre, zum Anführer einer Räuberbande befördert worden zu sein.
    »Das Spiel ist zu Ende«, es war ein bitteres Lachen, mit dem er sofort anfing, den Wachsoldaten wüst zu beschimpfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Zuständigkeit für unsere Zelle gewechselt, wir hatten jetzt Regierung Tang Jiuguan, er war der Patriarch des Untersuchungsgefängnisses und hatte viele Regierungen kommen und gehen sehen, war aber wegen seiner mangelnden Bildung nie irgendwie befördert worden.
    Tang Jiuguan, die Schnapsdrossel, kam und ließ Wang Er eine Rückenfessel schmecken, da gab es kein Vertun.
     
    Jetzt ist schon Frühsommer, Wang Er lag noch immer auf seinem handgemachten Sofa und zählte an seinen Fingern ab, wie viele Tage es noch bis zu seiner Verhandlung waren. Dieser große Räuber war so voller übelster Angewohnheiten, dass es für ihn kein Heilmittel gab. Ausgerechnet jetzt wurde die in diesem Jahr zweite Geständnisbewegung energisch in Szene gesetzt und die Vertreter der Staatsanwaltschaft betonten bei der Großversammlung mehrfach die Politik der Regierung und appellierten an alle, große Fälle anzuzeigen oder von sich aus einzugestehen und sich verdient zu machen um gerechte Strafen. Anschließend wurde in der Zelle für jeden ein Kugelschreiber und ein Bogen ausgegeben. Ich freute mich wahnsinnig und versenkte mich schweigend in die Niederschrift eines Abschnittes aus dem Film »Requiem« und improvisierte ein kurzes Gedicht. Gerade kam ich richtig in Fahrt, als Wang Er ankam: »Konterrevolution, hilf mir, ich habe keine Idee.«
    »Ich bin ein Idiot.«
    »Ich möchte meinen Kopf retten.«
    Ich wandte ihm das Gesicht zu und musterte vorsichtig seinen verwirrten Blick. »Willst du jemanden anzeigen oder die Beute zurückgeben?«
    »Seit Winterende habe ich überlegt, wie ich die Beute zurückgeben könnte, aber meine Kumpane draußen haben sich aus dem Staub gemacht, die sind in alle Himmelsrichtungen zerstreut, und meine Mutter und meine Frau will ich da nicht mit hineinziehen.«
    »Du hast Familie?«
    »Eine sehr unwirkliche Familie. Meine Frau und ich waren alte Nachbarn, als Kinder haben wir oft miteinander gespielt, später ist ihre Familie weggezogen. Wir haben uns über zehn Jahre nicht gesehen, sie war mit dem Studium fertig und einer Forschungseinheit zugeteilt worden. Diese romantische Geschichte ist so alt, der fallen schon die Zähne aus, die Einzelheiten lasse ich weg. Kurz, der alte Himmelsvater hat es so eingerichtet, dass wir uns eines Tages auf der Straße begegnet sind, wir haben eine Familie gegründet, hatten auch eine Tochter, in der Umgebung von Mutter und Tochter habe ich schwer auf Gentleman gemacht, bin in der Nachbarschaft auf einen Sprung vorbeigekommen, hatte aber nicht den Mut, viel zu reden, aus Angst, dass ich mich über meine dunkle Herkunft verplappere. Das waren süße Tage, jedoch erstickend für mich.«
    »Hast du daran gedacht auszusteigen?«
    »Doch. Aber bevor man eine reine Weste anziehen kann, muss man zuerst noch einmal kräftig

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